Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
sprechen.
»Gute Nacht, Angel.« Joshua lachte jetzt auch.
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, preßte ich Angel fest an mich. Ich schaltete die Lichter aus und schloß die Augen. Ich rechnete damit, daß ich mich an Joshuas Kuß erinnern würde, doch statt dessen sah ich Tony vor mir stehen, der seine Augen auf mein Gesicht geheftet hatte und gepreßt lächelte.
»Ich will dir Dinge zeigen, dich warnen, dir etwas beibringen«, hatte er gesagt. Warum ließen mich diese Worte zittern?
Ich wünschte, ich hätte mit meiner Mutter darüber sprechen können. Nein, nein, dachte ich, sie würde ja doch nur sagen, daß Tony genau das Richtige getan hatte.
Ich konnte mit niemandem über all das reden; es war besser, diese Vorfälle schlicht zu vergessen.
Falls Tony meiner Mutter je etwas von dem Zwischenfall im Häuschen erzählte, dann vergaß sie es entweder sofort wieder, oder sie dachte sich nicht viel dabei, denn sie kam nie darauf zu sprechen. Joshua und ich redeten auch nicht mehr darüber, obwohl wir keineswegs vergaßen, wie wir einander umarmt und geküßt hatten. Meinen Körper durchzuckte jedesmal ein Schauer, wenn ich davon träumte. Wir küßten uns, wenn wir im Kino saßen, aber das war nicht dasselbe, weil noch andere Menschen im Raum waren. Wir hatten selten Gelegenheit, allein zu sein. Der Zutritt zu unseren Zimmern in Winterhaven war Jungen nicht gestattet, und Mädchen war der Zutritt zu den Zimmern der Jungen in Allandale verboten.
Meine Mutter erlaubte mir jetzt ziemlich oft, an den Wochenenden in Winterhaven zu bleiben. Joshua, ich, William und Jennifer wurden zum wichtigsten Gesprächsstoff unserer Mitschülerinnen.
Marie und der »Privatclub« waren uns auch wieder freundlicher gesinnt. Vor Weihnachten sprachen wir bereits wieder miteinander, und wir luden die andern in unser Zimmer ein und wurden auch zu ihnen eingeladen. Eines Tages forderte Marie uns offiziell auf, uns dem Club wieder anzuschließen. Wir sagten zu, aber im Grunde hatten wir keine Zeit, um uns mit den anderen zu beschäftigen, weil wir so viele Verabredungen mit Joshua und William hatten.
Die Puppen wurden im Weihnachtsgeschäft zu einem der beliebtesten Artikel von Tatterton Toys. Tony gab Anzeigen in Zeitschriften und Tageszeitungen im ganzen Land auf. Die Zeitungen von Boston brachten Artikel über die Puppen und berichteten über mich. Wie Tony es vorausgesagt hatte, wollten die meisten Mädchen in Winterhaven auch ihre Puppe haben, und bald hatten sie zu Dutzenden ihre Bestellungen aufgegeben. Tony war ganz begeistert, und an den Wochenenden, die ich in Farthy verbrachte, hatte er mir viel Neues zu zeigen und über das Projekt zu berichten.
Im Lauf der Wintermonate unternahm er einige Reisen und fand neue Absatzmärkte für die Puppen in Kanada, Frankreich, England, Spanien und Italien. Er war froh über den Erfolg. Mama begleitete ihn nur auf einer seiner Reisen – nämlich nach St. Moritz.
Unglücklicherweise war das die Woche, in der die Schule das Theaterstück aufführte. Ich hatte eine größere Rolle, doch weder Mama noch Tony konnten kommen. Insgeheim hatte ich gehofft, daß Daddy vielleicht Zeit hatte, aber er kam nicht. Eine Woche nach der Aufführung des Theaterstücks traf ein Brief ein, in dem er sich ausführlich entschuldigte.
Schon im Frühjahr brachten die Porträtpuppen dem Tatterton-Unternehmen viele Millionen ein. Tony bedankte sich immer wieder bei mir, weil ich das erste Modell gewesen war. Er sagte mir, daß er einen Teil der Gewinne in einem Treuhandfonds für mich anlegte. Mama fand das alles wunderbar und wies mich noch einmal darauf hin, wie albern ich gewesen war, damals zu zögern, als er mich als Modell haben wollte.
»Tony hat dich zu einem Star gemacht«, sagte sie zu mir. »Ist das nicht sensationell?«
Ich vermutete, daß sie recht hatte. Alle anderen Mädchen in der Schule beneideten mich, ich besaß selbst eine wunderschöne Puppe, und noch dazu verdiente ich ein Vermögen damit. Jetzt zeigte sich, daß Tony doch ein rücksichtsvoller Mensch mit lauteren Absichten war, dachte ich, und alles Negative, was ich ihm gegenüber empfunden hatte, verflog, auch die Erinnerung an die Dinge, die er gesagt und getan hatte und die mich erschreckt hatten. Die Welt, die nach der Scheidung meiner Eltern grau und trostlos geworden war, hellte sich wieder auf. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen. Ich hatte Freundinnen, einen Freund, ein faszinierendes Zuhause und alles, was
Weitere Kostenlose Bücher