Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
den handbemalten Schal an. »Oh, der ist aber hübsch, Leigh. Er paßt zu vielen Sachen, die ich habe. Es tut mir leid, daß ich nicht dabei war, als ihr dort wart, aber ich werde es auf tausendfache Weise wiedergutmachen. Du wirst ja sehen.«
»Für Daddy habe ich einen handgeschnitzten Stock gekauft«, sagte ich behutsam.
»Das ist aber nett.« Sie ging in ihr Bad, um das Wasser einzulassen. Ich blieb noch einen Moment lang stehen und lauschte ihrem Summen, ehe ich ging.
Daddy kam kurz vor dem Abendessen. Mama war noch in ihrer Suite, sprach am Telefon mit ihren Freundinnen und brachte dabei ihre Nägel und ihr Haar in Ordnung. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, ihr von den Spenser-Schwestern zu erzählen, von Fulton und Raymond, aber ich rechnete damit, ihr alles beim Abendessen erzählen zu können. Plötzlich hörte ich, wie die Haustür geöffnet wurde und Clarence sagte: »Guten Abend, Mr. van Voreen.«
Daddy! dachte ich und sprang auf. Er war schon in seinem Büro und packte einige Papiere zusammen.
»Daddy!«
»Hallo, Leigh. Fühlst du dich schon wieder ganz heimisch?«
»Ja. Mama ist da. Sie ist oben.«
»Ich verstehe.« Er beschäftigte sich sofort wieder mit seinen Papieren.
»Bleibst du ein wenig hier?« Er tat mir so leid. Er wirkte so matt und erschöpft und sah älter denn je aus, und ich dachte immer wieder, wieviel schlimmer alles für ihn werden würde, wenn er erst von Mamas Liebe zu Tony Tatterton erfuhr. Vielleicht hegte er doch noch eine gewisse Hoffnung, wie auch ich sie gehegt hatte.
»Nein, Leigh. Ich muß ins Büro gehen und Vorbereitungen für meine nächste Reise treffen.«
»Aber wo wirst du heute nacht schlafen?«
»Ich habe Zimmer im Hilton. Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Ich möchte, daß du gut auf dich aufpaßt und…« Er hob den Blick, als könne er durch die Decke in Mamas Suite sehen. »Und auf deine Mutter.« Er vertiefte sich wieder in seine Papiere, sortierte Ordner, öffnete Aktenschränke und begann, Papiere einzupacken.
Ich saß auf dem Ledersofa, sah ihm zu und fühlte mich furchtbar. Ich kam mir vor, als beginge ich einen Verrat an ihm, weil ich ihm nicht erzählte, was ich über Mama und Tony wußte.
Daddy bemerkte meinen besorgten Blick.
»Nun hör aber auf«, sagte er. »Das darfst du dir jetzt nicht antun. Ich habe dir doch gesagt, wenn wir den Sturm erst hinter uns haben, glätten sich die Wogen wieder. Vermumm dich gegen den Wind. Faß dir ein Herz. Du bist lange genug unter Matrosen und Seemännern gewesen, und du wirst es schaffen.«
»Ich werde es versuchen, Daddy.«
»So ist es brav, Mädchen. So«, sagte er und sah sich um, »ich schätze, ich habe jetzt alles, was ich für den Moment brauche.« Er schloß seine Aktentasche. Mein Herz klopfte schneller. Er ging um seinen Schreibtisch herum und blieb abrupt stehen, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich. Sein freundliches, liebevolles Gesicht wich einer harten Miene, in der sich sogar Zorn ausdrückte. Ich drehte mich schnell um. Mama stand in der Tür.
»Hallo, Cleave«, sagte sie.
»Ich bin nur vorbeigekommen, um meine wichtigsten Papiere zu holen.«
»Ich bin froh, daß du da bist«, sagte sie. »Es gibt einiges zu besprechen. Ich wollte damit noch warten, aber vielleicht können wir es ebensogut gleich hinter uns bringen.«
»Ja«, sagte er.
»Leigh, würdest du uns bitte ein Weilchen entschuldigen«, sagte Mama und lächelte dann kühl. Ich sah Daddy an. Er nickte, und plötzlich fanden meine Beine, die mir wie zwei zu weich gekochte Spaghetti erschienen waren, ihre Kraft wieder. Ich stand auf und lief eilig aus dem Büro. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß Mama die Tür schloß.
Ich wollte umkehren und mein Ohr an die Tür legen, aber ich hatte Angst, sie könnten mich erwischen.
Es erschien mir wie Stunden, aber schließlich kam Mama, um mich zu holen. Ich sah hinter sie, weil ich erwartete, Daddy dort stehen zu sehen. Vielleicht hatten sie ihre Schwierigkeiten doch irgendwie klären können, und jetzt gaben sie unserer Familie noch eine Chance. Vielleicht hatte Daddy ein paar Zauberworte gesprochen, und sie hatten beide wieder an ihre frühen gemeinsamen Jahre gedacht. Ich wartete auf diese Worte und betete, sie zu hören.
»Ich wette, du bist ausgehungert«, sagte Mama. »Ich bin es jedenfalls.«
»Wird Daddy mit uns zu Abend essen?« fragte ich hoffnungsvoll.
»Nein, es ist alles wie in alten Zeiten«, sagte sie trocken.
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