Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
bestürzte mich. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß sie solchen Groll hegte und derart verzweifelt war.
Ich wollte sie für das hassen, was sie Daddy und mir antat, aber als ich sie in diesem Zustand sah, mit hervorquellenden Augen, zerzaustem Haar und rot angelaufenem Gesicht, war mein einziger Gedanke der, daß dieses abscheuliche Geschöpf nicht meine Mutter sein konnte.
»Daddy tut all das leid. Es tut ihm wirklich leid.«
»Ja, sicher… für den Moment, aber morgen nimmt irgendeine geschäftliche Krise ihn ganz und gar in Anspruch, und er vergißt, was zwischen uns gewesen ist.«
»Nein, Mama, er vergißt es nicht. Kannst du es denn nicht noch einmal mit ihm versuchen? Kannst du ihm nicht eine letzte Chance geben?« flehte ich sie an.
»Ich habe ihm immer wieder eine Chance gegeben, Leigh. Nur zu oft. Das hat doch alles nicht erst vor kurzem angefangen. Es ging doch schon kurz nach unserer Heirat so los. Ach«, seufzte sie und lehnte sich zurück, »in den allerersten Jahren war es nicht ganz so schlimm, weil du bald darauf geboren bist, und dann mußte ich für dich sorgen, und dein Vater war sehr aufmerksam und liebevoll im Umgang mit mir. Natürlich war er damals zwölf Jahre jünger, aber du darfst nicht vergessen, daß er schon ziemlich alt war. Ich wette, dir ist nie klargeworden, daß er alt genug ist, um mein Vater sein zu können.«
Diese Vorstellung war so abscheulich und albern, daß ich fast laut gelacht hätte, aber sie lächelte kein bißchen. Daddy ihr Vater? Mein Großvater?
»Sein Alter hat ihn eingeholt. Ich gebe zu, daß all das zum Teil auch meine Schuld ist, weil ich mich bereit erklärt habe, ihn zu heiraten, aber damals war ich so jung und so unglücklich, daß ich mir nicht überlegt habe, wie die Zukunft aussehen könnte. Und dein Vater hat mir alles mögliche versprochen… die wunderbarsten Versprechungen hat er mir gemacht, aber er hat sie nie gehalten… Versprechungen, an die er sich gar nicht mehr erinnern kann!«
»Aber du warst doch so sehr verliebt. Das hast du mir doch selbst erzählt.« Mein kleiner Rettungsanker schien mir keine neue Hoffnung zu geben. Das, was sie mir erzählt hatte, bestätigte nur, wie hoffnungslos alles war.
»Ich war jung; damals wußte ich noch nicht, was Liebe ist.« Sie lächelte. »Aber jetzt, jetzt weiß ich es. Ganz genau sogar«, fügte sie hinzu und strahlte plötzlich wieder. Ihre Augen leuchteten. »O Leigh… Leigh«, rief sie, »hasse mich nicht dafür, aber ich bin verliebt, wirklich und wahrhaft verliebt.«
»Was?« Ich sah wieder ins Wohnzimmer und dachte an diese Einladungen. »Du hast dich in einen anderen Mann verliebt? Diese Muster da drüben, Einladungen zu einer Hochzeit…« murmelte ich, und die Erkenntnis brach wie eiskalter Regen über mich herein.
»Du hast sie gesehen?«
Ich nickte.
»Dann kann ich dir ja gleich alles sagen«, sagte sie und richtete sich entschlossen auf. »Ich liebe Tony Tatterton, und er ist rasend verliebt in mich, und wir werden an Weihnachten heiraten und auf Farthy leben!« Urplötzlich verwandelte sich das Gesicht, das wie eine monströse Karikatur meiner schönen Mama gewirkt hatte – es entspannte sich wieder. Dann lächelte sie, und ihre Augen strahlten.
Ich hatte zwar schon geahnt, daß so etwas auf mich zukam, doch als sie diese Worte tatsächlich aussprach, war die Wirkung verheerend. Ich spürte, wie mein Gesicht weiß wurde und jedes Blut aus ihm wich. Eine Mischung aus Entsetzen und Kummer ließ meine Beine taub werden, und ich fühlte mich vor Entsetzen festgenagelt. Ich konnte nichts sagen, konnte nicht schlucken. Ich glaube, mein Atem stockte, und mein Herzschlag setzte aus. Es war, als hätten sich zwei riesige, eisige Hände auf meine Brust gelegt.
»Du darfst mich jetzt nicht hassen, und du mußt dich bemühen, mich zu verstehen, Leigh. Bitte. Ich spreche mit dir von Frau zu Frau.«
»Aber, Mama, wie konntest du dich bloß in einen anderen Mann verlieben?« Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Als mir wieder einfiel, wie Mama und Tony auf dem Abschiedsball miteinander getanzt hatten, bekam jeder Moment, in dem er sie in seinen Armen gehalten hatte, jeder Blick, den er ihr zugeworfen hatte, eine neue Bedeutung. Ich hatte etwas gespürt, als ich mit ihr nach Farthy gefahren war und gesehen hatte, wie sie nebeneinander herliefen und flüsterten, aber ich hatte das Gefühl nicht verstanden. Wie kommt es, daß das Herz solche Dinge weit eher erkennt als der
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