Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
schien etwas ganz Besonders zu sein. Es war von kahlen Laubbäumen und Nadelbäumen umgeben. Das Hauptgebäude war mit weißen Schindeln verkleidet und leuchtete in der frühen Morgensonne. Ich hatte einen Steinbau erwartet, ein Backsteinhaus.
Sobald wir angehalten hatten, kam uns ein Schuldiener entgegen, um mein Gepäck zu holen und es auf einem Karren fortzubringen. Tony wies auf den Verwaltungstrakt. Er sah die Beklommenheit, die sich auf meinem Gesicht breitgemacht hatte. Es war eine neue Schule mit neuen Lehrerinnen, und ich mußte neue Freundschaften schließen. Ich kam nicht gegen meine Nervosität an. Das war der Zeitpunkt, zu dem ein Mädchen seine Mutter an seiner Seite brauchte, die ihm Trost spendete, doch meine lag wahrscheinlich noch im Bett und hatte dicke Schichten Nachtcreme im Gesicht, dachte ich geringschätzig.
»Schau nicht so ängstlich. Du wirst hier gut zurechtkommen. Ich habe deine Zeugnisse gesehen, und es wird dir leichtfallen, neue Freundschaften zu schließen, denn alle Mädchen hier werden sich um deine Gesellschaft reißen. Bis auf die, die schrecklich neidisch und sauer sein werden, weil die Neue so hübsch ist«, fügte er hinzu. Sein Lächeln gab mir die Kraft, die Stufen hinaufzusteigen.
Das, was ich vorfand, erstaunte mich. Ich hatte mit etwas gerechnet, das mit einem üppig ausgestatteten Hotelfoyer zu vergleichen war, doch was ich sah, wirkte eher streng. Alles war sehr sauber, und die Holzdielen glänzten vom Bohnerwachs. Die Wände waren in einem gebrochenen Weiß gestrichen, und die Balken waren verziert und fleckig dunkel. Farne und andere Topfpflanzen standen vereinzelt auf Tischen und neben hochlehnigen Stühlen, die unbequem aussahen. Von der Eingangshalle aus konnte ich das Empfangszimmer sehen, das mit dem Kamin und den sorgsam arrangierten Sofas und Sesseln mit ihren Chintzbezügen ein wenig gemütlicher wirkte.
Tony führte mich ins Büro der Schulleiterin Miß Mallory, einer stämmigen, umgänglichen Frau, die uns beide mit einem breiten, herzlichen Lächeln bedachte.
»Willkommen in Winterhaven, Miß van Voreen«, sagte sie. »Es ist uns eine Ehre und ein Privileg, die Tochter des Besitzers der bekanntesten Luxusdampferlinie des Landes in unsere Schule aufnehmen zu dürfen.« Sie lächelte Tony immer noch an. Ich schätzte sie auf Mitte bis Ende Zwanzig, recht jung für ihre Stellung, doch ihre schrille Stimme und die Brille ließen sie wesentlich älter wirken. Sie hatte das dunkelbraune Haar zu einem strengen Knoten aufgesteckt und war ungeschminkt; noch nicht einmal eine Spur von Lippenstift war zu sehen. Sie schien etwas unsicher zu sein, aber nach allem, was mir Mama über Tonys Einfluß auf diese Schule erzählt hatte, konnte ich mir vorstellen, daß er über ihre Zukunft hätte bestimmen können. Der Unterricht hier war kostspielig, aber in Wirklichkeit war die Schule auf die Spenden von reichen Leuten angewiesen.
»Ich weiß, daß Mr. Tatterton ein vielbeschäftigter Mann ist, und daher wollen wir uns beeilen. Ich kann mir vorstellen, daß er gern sehen möchte, wo Sie untergebracht werden«, sagte sie und lächelte Tony wieder an. »Ich werde Ihnen selbst Ihr Schlafzimmer zeigen, und anschließend können wir beide uns dann besser kennenlernen, wenn ich Ihnen den Stundenplan näher erkläre. Ich habe ihn persönlich für Sie zusammengestellt.
Hier entlang«, fuhr Miß Mallory mit einer Geste fort. »Ich habe Ihre Mitbewohnerin Jennifer Longstone gebeten, heute morgen in ihrem Zimmer zu bleiben, statt den Unterricht zu besuchen, damit es mir möglich ist, sie miteinander bekanntzumachen.« Sie wandte sich an Tony. »Das tue ich natürlich nur in solchen Ausnahmefällen«, sagte sie und wandte sich dann wieder an mich. »Und falls es irgendwelche Probleme zwischen Ihnen und Jennifer geben sollte, was auch immer, dann sollten Sie selbstverständlich nicht zögern, mich augenblicklich davon in Kenntnis zu setzen, und ich bringe Sie sofort bei einem anderen Mädchen unter.« Sie lächelte Tony wieder an und führte uns durch einen langen Gang, der den Verwaltungstrakt mit den Schlafräumen verband.
Auf dem Weg kamen wir an einer ganzen Reihe von Anschlagbrettern vorbei, und die meisten wurden von Aushängen in Anspruch genommen, die Clubveranstaltungen oder Prüfungen ankündigten und auf die Vorschriften der Hausordnung hinwiesen, auch auf das Verbot, Nahrungsmittel in den Zimmern aufzubewahren, aber auch ein Alkoholverbot, Bier und Wein inbegriffen.
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