Castillo der Versuchung
dass ihr Mund, ihr Haar und ihre Gesichtszüge getrennt voneinander betrachtet eher gewöhnlich waren. Wann immer er Sophie gegenüberstand, konnte er sich dennoch des Eindrucks nicht erwehren, dass sie umwerfend hübsch sei.
„Ich … ich arbeite noch, und Lydia schläft“, protestierte Sophie schwach gegen seinen frühen Besuch. „Es ist jetzt einfach nicht so günstig.“
„Das verstehe ich, aber ich habe bereits alle Termine erledigt. Außerdem bin ich neugierig darauf, meine Nichte kennenzulernen“, antwortete Antonio. Offenbar dachte er gar nicht daran, sich zu entschuldigen. Antonio mochte äußerlich zwar kühl wirken, doch innerlich rang er nach Beherrschung. Einerseits wollte er sachlich seinen Standpunkt durchsetzen und andererseits musste er sich zusammenreißen, um das unerklärliche Begehren zu unterdrücken, das Sophie stets in ihm aufkeimen ließ. Ihren trügerischen Reiz auf ihn führte er darauf zurück, dass er es einfach nicht gewohnt war, mit Frauen ihres Schlages umzugehen. „Darf ich hereinkommen?“
Sophie wich ins Innere des Wohnwagens zurück und befeuchtete sich immer wieder nervös die Lippen. Antonio kam lässig die Stufen hinauf und schien sofort den gesamten Raum einzunehmen.
„Du wirst aber schon noch warten müssen, bis Lydia aufwacht.“
Augenblicklich war Antonio seine Ungeduld anzusehen. „Ich habe nicht viel Zeit und wäre dir dankbar, wenn du die Sache nicht unnötig verkomplizieren würdest.“
Sophie atmete tief durch. Sie hatte Lydia extra hingelegt, damit sie bis zu Antonios Besuch ausgeschlafen hätte. Sein frühes Erscheinen hatte ihren Plan zunichte gemacht. Vor Verärgerung und Besorgnis wirkte Sophies zierlicher Körper ganz angespannt. Sie senkte ihren Lockenkopf und presste die Lippen zusammen, denn am liebsten hätte sie Antonio die Meinung gesagt. Aber beim Notar, der Antonio wie einen König und sie geringschätzig behandelt hatte, war ihr eins klar geworden: Sie konnte es sich nicht leisten, Antonio gegen sich aufzubringen. Wenn es hart auf hart käme, würde er immer die Oberhand behalten. Deshalb musste sie höflich bleiben und Antonios Forderungen so gut es ging nachkommen – Lydia zuliebe.
„Lydia wird ein bisschen quengelig sein, wenn wir sie aufwecken“, sagte Sophie zögerlich.
„Ich will meine Nichte aber jetzt sehen!“, beharrte Antonio, der zu dem Schluss gekommen war, dass man Sophie am besten energisch begegnete.
Nach kurzer Bedenkzeit nickte Sophie. Auf Belindas Hochzeit waren viele kleine Mädchen und Jungen gewesen, und ihre Schwester hatte ihr erzählt, dass Spanier besonders kinderlieb seien. Offensichtlich war Antonio es gewohnt, mit Babys umzugehen, und freute sich darauf, sich ein wenig mit seiner Nichte zu befassen. Sophie stieß die Tür zu der kleinen Besenkammer auf, in die sie Lydia mit ihrem Reisebettchen gestellt hatte, damit sie ungestört schlafen konnte.
Antonio blickte auf das Bündel unter der Decke. Seine Nichte sah erschreckend klein aus. Sowohl Pablo als auch Belinda waren groß gewesen. Andererseits reichte ihm Sophie kaum bis zur Brust. Vielleicht war Lydia auch nur zu klein für ihr Alter, aber ansonsten vollkommen gesund. Auf jeden Fall würde er sie in Spanien von einem Kinderarzt untersuchen lassen.
Antonio überwand seine Zurückhaltung Babys gegenüber und hob die Kleine aus ihrem Bettchen, um sie näher zu betrachten. Sofort schlug Lydia die Augen auf und machte sich stocksteif, ehe sie ihren kleinen Mund aufriss, um gleich darauf wie am Spieß zu schreien. Dabei lief ihr Gesichtchen dunkelrot an, und Antonio wurde von Panik erfasst. „Was hat sie denn bloß?“
„Hat dich schon einmal ein Fremder aus dem Schlaf gerissen und dann in der Luft herumgeschaukelt wie ein Spielzeug?“, fragte Sophie und musste sich schwer zusammenreißen, um ihm Lydia nicht sofort wieder wegzunehmen. Offensichtlich hatte er doch keine Ahnung von Babys.
Als die Kleine Sophies Stimme hörte, drehte sie ihren Kopf. Dann wand sie sich wie verrückt in Antonios Händen und streckte ihrer Tante die Ärmchen entgegen – eine Geste, die alles sagte.
„Vielleicht hättest du uns einander erst vorstellen sollen“, beschwerte sich Antonio und übergab Sophie eilig das Bündel. Während ihm die Ohren immer noch von dem Gebrüll klangen, beobachtete er, wie sich seine Nichte angstvoll wimmernd an Sophie klammerte. Wenigstens hörte sie mit dem Geschrei auf, während Sophie sie an sich drückte, streichelte und ihr
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