Casting fuer die Liebe
irgendetwas in ihren Block schreiben. Sie sieht total konzentriert aus und kaut zwischendurch immer wieder auf ihrem Bleistift herum.
Bestimmt soll das ein Liebesbrief für Luis werden.
Wenn ich noch mit ihr reden würde, könnte ich ihr sagen, dass sie sich die Mühe sparen kann. Luis liest nur Comics und Autozeitschriften.
Aber Isabel hat sich das Privileg verspielt, gute Ratschläge von mir zu erhalten.
Ein Glück, dass Luis nicht auf unsere Schule, sondern auf ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasiumgeht. Sonst würde Isabel jetzt bestimmt mit Luis in unserer Ecke sitzen und knutschen und alle würden tuscheln und tratschen!
In der letzten Stunde erfahren wir, dass der Nachmittagsunterricht heute ausfällt.
Ich atme erleichtert auf. Dann muss ich Isabel nicht länger ignorieren und kann zu Hause erst mal meine Wunden lecken.
Mama hat gestern Abend noch eine asiatische Wokpfanne vorbereitet und in den Kühlschrank gestellt. Eine ziemlich große Portion, weil sie natürlich erwartet hat, dass Isabel wie so oft mitisst. Jetzt sitze ich alleine und ohne jeden Appetit vor der Riesenschüssel.
Dann wird Luis eben umso mehr essen müssen, wenn er nach dem Fußballtraining heimkommt. Aber wahrscheinlich fährt er gar nicht mit Mama nach Hause, sondern zieht wieder mit Isabel um die Häuser.
Mein Hals wird ganz eng, als ich daran denke. Da passt nicht einmal der dünnste Sojakeim mehr durch.
Ich schiebe meinen Teller zur Seite und schlendere in mein Zimmer hoch.
Es gibt da doch diesen Spruch: »Heute beginnt der Rest deines Lebens.« So fühle ich mich gerade. Heute beginnt der Rest meines Lebens ohne Isabel.
Natürlich habe ich schon eine Menge Nachmittage ohne meine beste Freundin verbracht. Wenn sie krank war zum Beispiel. Oder in den Ferien.
Doch das war etwas ganz anderes. Denn dann wusste ich ja, dass wir uns bald wiederhaben würden.
Aber jetzt ist es ja für immer und ewig aus mit der Freundschaft.
Seufzend lasse ich mich auf mein Bett fallen.
Ein paar Minuten lang tue ich mir entsetzlich leid.
Dann wird mir langweilig und ich beschließe, irgendetwas zu unternehmen.
Ich kann ja nicht den Rest meines Lebens auf dem Bett liegen und Trübsal blasen.
Es muss doch auch möglich sein, ohne Isabel Spaß zu haben!
Schließlich ist Isabel ja kein Tropf, an dem ich auf Leben und Tod hänge.
Ich gehe in den Flur hinunter und ziehe meine Schuhe und meine Jacke an. Als ich gerade zur Tür hinaussausen will, fällt mein Blick auf Mamas Lippenstift, der auf der Kommode liegt.
Kurz entschlossen schminke ich mir meine Lippen himbeerrot.
Wirkt richtig gut, finde ich. Die Farbe steht mir.
Angeblich sieht man ja so aus, wie man sich fühlt. Vielleicht klappt es ja manchmal auch andersrum und man fühlt sich so, wie man aussieht!
Draußen gehe ich schnurstracks zur Straßenbahn. Ich will in die Stadt fahren und dort ein bisschen herumlaufen, Schaufenster gucken und vielleicht gönne ich mir unterwegs auch einen Erdbeershake oder so.
Ich werde mir einfach beweisen, dass man sich auch alleine einen netten Nachmittag machen kann.
Im Hinterkopf habe ich allerdings, dass mir ja mal wieder Philipp über den Weg laufen könnte.
Nachdem mich das Leben in den letzten Tagen so schlecht behandelt hat, wäre es doch nett von ihm, wenn es mich jetzt mit diesem netten Zufall beglücken würde.
Ich begutachte mein Spiegelbild im Fenster der Straßenbahn.
Mit den geschminkten Lippen wirke ich mindestens zwei Jahre älter. Meine langen Haare gucken unter der geringelten Mütze hervor und reichen mir fast bis zum Bauchnabel. Klar, die Farbe ist nach wie vor zum Heulen. Und wenn ich mir die Bahnkarte nach München selber kaufen muss, wird sich das wohl auch so schnell nicht ändern. Aber alles in allem sehe ich doch gar nicht so schlecht aus!
In der Innenstadt steige ich aus und schlendere erst mal durch die Fußgängerzone. Ich gucke mir die neuen Winterstiefel bei Görtz an und überlege, welches Paar ich am liebsten hätte. Bei Lucy’s kaufe ich mir anschließend einen Strawberryflip. So viel Luxus muss sein an einem Tag wie heute. Dann biege ich in die Kohlmannstraße ein. Hier sind die wenigen hippen Geschäfte, die es in Grünstett gibt.
Falls Philipp in der Stadt unterwegs sein sollte, dann doch bestimmt hier.
An meinem Strohhalm nuckelnd mustere ich ausgiebigein Schaufenster nach dem anderen und spähe dabei auch intensiv in die Verkaufsräume. Kein Philipp.
Am Ende der Straße sehe ich vor
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