Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
Tempel zu verlassen und versprach, dass sich ihre Wege eines Tages erneut kreuzen würden.
Die Sonne verschwand langsam hinter dem Horizont. Und die Dämmerung legte sich über die Stadt. Laut hallten die Schläge der Tempelglocken durch Zitelia. Es klang wie ein Trauerspiel, und das war es wahrlich auch. Jeder musste in den nächsten beiden Tagen die Heimat verlassen und keiner wusste, was dann noch davon übrig war, sollten sie eines Tages wieder heimkehren. Die Obscuras waren still und nachdenklich, als sie sich zum letzten Mal gemeinsam niederknieten, um vor dem Altar für die Zukunft zu beten. Die meisten baten um Gnade und wünschten sich, dass ihr Gott ihren Tempel beschützte. Sie baten um Frieden und Schutz für alle guten Wesen Cataneos. Kriege hatte noch nie etwas Gutes mit sich gebracht. Vor allem nicht für die Obscuras, die so viele der ihren in der letzten Schlacht geopfert hatten. Sie waren starke Geschöpfe, doch so, wie sie dort niederknieten und ihren Herrn anflehten, spürte man förmlich ihre Angst und Trauer.
Die Tür des Tempels öffnete sich erst, als die Nacht schon beinahe wieder vorüber war. Der Oberste hatte die schwarzen Pferde der Zwölf schon am Tage satteln lassen. Die Tore öffneten sich langsam und sie verließen mit lautem Hufschlag die Stadt. Sie ritten im Galopp – jedoch nicht nach Norden, wie der Hauptmann es mit den anderen Bewohnern vorhatte. Sie brachen in Richtung Osten auf und verschwanden einer nach dem anderen in der nebelverhangenen Dunkelheit. Morris beschlich ein ungutes Gefühl. Vielleicht bildete er sich das nur ein, so hoffte er, doch eine Stimme in seinem Inneren sagte ihm, dass er keinen der Obscuras so schnell wiedersehen würde. Weder die Zwölf, noch Failon, an den er oft denken musste. Als Hauptmann hatte er sich in den letzten Jahren fast nie darum geschert, wie es anderen in ihrem Leben erging. Doch mit dem Krieg vor der Tür kam sein Mitgefühl zurück. Es war geweckt worden, als er dem Dämon in die leeren Augen geblickt hatte und Angst um sich und alle anderen bekam. Nun lauerte die Brut Vortex’ schon in der ganzen Stadt. Die Dämonen schienen auf etwas zu warten. Auf ein Heer? Oder einen Befehl? Morris hatte keine Vorstellung. Er wollte nur fort sein, wenn es begann. Er griff nach einer Flasche Schnaps, die auf seinem Schreibtisch stand. Jede Nacht, seit dem Vorfall in der Gefängniszelle, nahm er sich vor, sie einfach zu trinken, um endlich ruhig schlafen zu können. Jedoch hatte er sie bis jetzt immer zurück in die Schublade seines Schreibtisches gelegt. Diesmal tat er dies nicht. Er genoss jeden Schluck und versuchte einen Moment lang zu vergessen, was in den letzten Tagen geschehen war. Als die Wirkung des Alkohols einsetzte, begann Morris träge vor sich hin zu träumen. Seine Augen folgten den flackernden Lichtern der Kerzen, deren Schatten im ganzen Raum auf und ab tanzten. Da sah er es plötzlich in einem seiner Regale. Ein schwarzes Buch, das dem von Failon mehr als ähnlich sah. Unglaubwürdig rieb er sich die Augen, doch als er aufstand und näher herantrat, erkannte er es auf Anhieb. Zuvor war ihm dieses Buch nie aufgefallen und er konnte sich nicht erklären, wie es hierher gekommen war. Er zog es heraus und setzte sich damit an den Schreibtisch. Es war in schwarzes Leder eingeschlagen und trug den Titel »Dunkle Kreaturen«. Morris blätterte wild darin herum und fand einige Geschöpfe, die er nur aus Erzählungen vergangener Zeit kannte. Viele von ihnen waren bereits vor Jahrhunderten, wenn nicht sogar vor Jahrtausenden ausgerottet worden. Dann entdeckte er sie: die Brut des Vortex. Einige Worte waren mit Tinte unterstrichen. Vermutlich hatte Failon sich einige bedeutende Details markiert. Doch wieso? Und wie war er unbemerkt in sein Zimmer gekommen? Morris ließ sein Arbeitszimmer streng bewachen. So wie es aussah, schienen seine Wachen seinem Befehl jedoch nicht immer gefolgt zu sein. Doch ganz gleich wie Failon es geschafft hatte, er wollte ihm etwas mit dem Buch mitteilen. Er las den Absatz, in dem einzelne Worte unterstrichen waren:
Die Brut erwacht mit dem Mondlicht und kriecht in die Erde, aus der sie stammt, sobald die Sonnenstrahlen den Horizont heimsuchen. Sie sind Geschöpfe der Nacht und geschaffen, um das Licht zu bändigen. Grausam und unberechenbar. Vortex ließ sie aus den Tiefen der Welt emporsteigen, um dem Licht Splendors die Stirn bieten zu können. Sie verschwanden eines Nachts und wurden nie mehr gesichtet.
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