Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
Vom Netzwerk:
unzufriedener Untergebener, der überzeugt war, die Arbeit des Kaplans sehr viel besser verrichten zu können als der Kaplan, und der sich daher als ein in seinen Privilegien beschnittenes Opfer gesellschaftlicher Ungerechtigkeit betrachtete.
    Nachdem er herausbekommen hatte, daß der Kaplan ihm das durchgehen ließ, behandelte er ihn frech und unverschämt. Die beiden Zelte standen nicht mehr als vier oder fünf Fuß voneinander entfernt auf der Lichtung.
    Es war Colonel Korn gewesen, der diese Lebensführung für den Kaplan erdacht hatte. Einen guten Vorwand dafür, den Kaplan außerhalb des Stabsbereiches wohnen zu lassen, lieferte Colonel Korn die Ansicht, der Kaplan werde eine engere Verbindung zu seinen Schäfchen halten können, wenn er ebenso wie sie ein Zelt bewohne. Einen weiteren guten Vorwand lieferte der Umstand, daß die ständige Anwesenheit des Kaplans beim Stab den anderen Offizieren unbehaglich war. Es war schön und gut, mit dem HERRN Verbindung zu halten, und alle waren sehr dafür; weniger schön aber war es, IHN vierundzwanzig Stunden täglich in der Nähe zu haben. Alles in allem, so stellte Colonel Korn es Major Danby, dem fahrigen, glotzäugigen Operationsoffizier dar, habe der Kaplan ein leichtes Leben; er habe kaum etwas anderes zu tun, als sich die Sorgen anderer Leute anzuhören, die Toten zu bestatten, die Bettlägerigen zu besuchen und Gottesdienste abzuhalten. Und viele Tote gäbe es gar nicht mehr zu begraben, betonte Colonel Korn, denn die Abwehr durch deutsche Jäger sei praktisch erloschen, und gute neunzig Prozent der noch zu verzeichnenden Ausfälle verblieben hinter den feindlichen Linien oder irgendwo in den Wolken, wo der Kaplan mit der Bestattung der sterblichen Überreste nichts zu schaffen hatte. Die Gottesdienste könne man auch nicht gerade anstrengend nennen, da sie nur einmal wöchentlich im Stabsgebäude abgehalten und von nur wenigen Gläubigen besucht wurden.
    Es verhielt sich so, daß der Kaplan sein Leben auf der Waldlichtung geradezu lieb gewann. Sowohl er als auch Korporal Whitcomb waren mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet worden, weil man verhindern wollte, daß sie angeblicher Unbequemlichkeiten wegen um die Erlaubnis einkämen, ins Stabsgebäude zurückzukehren. Der Kaplan wechselte beim Frühstück, beim Mittagessen und beim Abendbrot seinen Platz in einer der acht Geschwadermessen, aß jede fünfte Mahlzeit in der Mannschaftsmesse beim Stab, und jede zehnte Mahlzeit in der dortigen Offiziersmesse. Zu Hause in Wisconsin hatte der Kaplan sich gerne im Garten betätigt, und immer, wenn er die kurzen, stachligen Äste der verkümmerten Bäume und das hüfthohe Unkraut und das Gebüsch betrachtete, das ihn fast wie eine Mauer umschloß, sah er mit Entzücken auf diese üppige Fruchtbarkeit. Im Frühling hätte er zu gerne in einer schmalen Rabatte um sein Zelt Begonien und Zynnien gepflanzt, doch hatte ihn die Angst vor Korporal Whitcombs Bosheit davon abgehalten. Der Kaplan genoß die Abgeschiedenheit seiner grünen Umgebung, die Verträumtheit und die Neigung zur Meditation, die durch den Aufenthalt dort gefördert wurden. Es kamen nicht mehr so viele Männer wie früher, um ihr Herz auszuschütten, und er erlaubte sich, dieses Umstandes mit Dankbarkeit zu gedenken. Der Kaplan war kein Gesellschaftsmensch und genoß es nicht, sich zu unterhalten. Ihm fehlten seine Frau und seine drei kleinen Kinder, und er wiederum fehlte seiner Frau.
    Was Korporal Whitcomb am Kaplan nicht paßte, war, abgesehen von der Tatsache, daß er an Gott glaubte, sein Mangel an Initiative und Aggressivität. Der geringe Zustrom zu den Gottesdiensten ließ Korporal Whitcomb sein eigenes Prestige in einem trüben Licht erscheinen. Er zerbrach sich ununterbrochen den Kopf nach herausfordernden, neuartigen Hinfallen, vermittels derer die große religiöse Wiederbelebung anzustellen wäre, als deren Initiator er sich träumte — Picknicks, Tanzveranstaltungen in der Kirche, vorgedruckte Briefe an die Angehörigen der Gefallenen und Verwundeten, Zensur, Bingo. Der Kaplan jedoch stellte sich ihm dabei hinderlich in den Weg. Korporal Whitcomb schäumte förmlich unter der zügelnden Hand des Kaplans, denn überall erspähte er Möglichkeiten, Verbesserungen anzubringen. Er kam zu der Überzeugung, daß es Menschen wie der Kaplan waren, deretwegen die Religion auf den Hund gekommen und sie alle beide zu Parias geworden waren. Anders als der Kaplan verabscheute Korporal Whitcomb die

Weitere Kostenlose Bücher