Catch 22
Sie vielleicht wichtige Geheimpapiere darin versteckt haben könnten.«
Der Kaplan sackte unter dem bergeschweren Gewicht seiner Verzweiflung zusammen. »Ich habe keine wichtigen Geheimpapiere darin verborgen«, erklärte er schlicht. »Ich wollte diese Tomate gar nicht haben. Hier, nehmen Sie sie. Nehmen Sie sie und sehen Sie selber nach.«
»Ich will sie nicht.«
»Bitte, nehmen Sie sie fort«, flehte der Kaplan mit kaum vernehmbarer Stimme. »Ich will sie los sein.«
»Ich will die Tomate nicht«, bellte Korporal Whitcomb noch einmal und stelzte mit verärgerter Miene hinaus, hinter der sich ein jubelndes Lächeln verbarg, denn er hatte jetzt einen mächtigen neuen Verbündeten in dem CID-Menschen, und es war ihm wiederum gelungen, dem Kaplan klar zu machen, daß er nicht mit ihm zufrieden war.
»Armer Whitcomb«, seufzte der Kaplan und machte sich Vorwürfe wegen der Mißstimmung seines Gehilfen. Er saß stumm und schwerfällig in eine närrische Melancholie versunken da und wartete darauf, daß Korporal Whitcomb wieder hereinkomme.
Es enttäuschte ihn, Korporal Whitcombs entschlossene Schritte sich entfernen zu hören. Er verspürte keinen Wunsch nach Tätigkeit. Er beschloß, statt des Mittagessens Schokolade aus seiner Feldkiste zu speisen und sie mit lauwarmem Wasser aus der Feldflasche hinunter zu spülen. Er glaubte sich von einem dichten, niederdrückenden Nebel von Möglichkeiten umgeben, in dem er nicht den kleinsten Lichtschimmer zu entdecken vermochte.
Ängstlich versuchte er, sich vorzustellen, was Colonel Cathcart wohl denken würde, wenn er erfuhr, daß der Kaplan verdächtigt wurde, Washington Irving zu sein, und was Colonel Cathcart wohl jetzt schon von ihm denken mochte, weil er die sechzig Feindflüge zur Sprache gebracht hatte. Es ist soviel Kummer in der Welt, grübelte er und beugte niedergedrückt das Haupt bei diesem tragischen Gedanken. Er konnte nichts tun, um den Kummer der anderen zu lindern, von seinem eigenen gar nicht zu reden.
General Dreedle
Colonel Cathcart indessen verschwendete keinen Gedanken an den Kaplan, denn Colonel Cathcart sah sich einem eigenen funkelnagelneuen, bedrohlichen Problem gegenüber: Yossarián!
"Yossarián! Allein schon der Klang dieses fluchwürdigen, häßlichen Namens ließ sein Blut gefrieren und seinen Atem stoßweise und keuchend gehen. Die Erwähnung des Namens Yossarián!
durch den Kaplan hatte in seinem Gedächtnis ein dumpfes Dröhnen ausgelöst wie von einem unheimlichen Gongschlag.
Kaum war die Tür hinter dem Kaplan zugefallen, da überkam Colonel Cathcart die Erinnerung an den nackten Mann bei der Parade. Sie ergoß sich über ihn gleich einer Sturzflut von demütigenden, erstickenden, schmerzlichen Bildern. Er begann zu schwitzen und zu zittern. Es zeigte sich hier ein spukhaftes, ganz unwahrscheinliches Zusammentreffen, dessen Konsequenzen zu teuflisch waren, als daß man darin etwas anderes als ein unheilverkündendes Vorzeichen erblicken durfte. Der Name des Mannes, der damals nackt in der angetretenen Formation gestanden hatte, um sich von General Dreedle die hohe Auszeichnung umlegen zu lassen, war ebenfalls Yossarián gewesen. Und jetzt war es ein Mann namens Yossarián, der drohte, wegen der sechzig Feindflüge Ärger zu machen, die Colonel Cathcart seinem Geschwader verordnet hatte. Er fragte sich düster, ob das wohl der gleiche Yossarián sein könne.
Er erhob sich mühsam wie ein schwer geprüfter Mann und begann im Büro umherzuwandern. Er ahnte, daß etwas Geheimnisvolles mit ihm im Raum sei. Der nackte Mann bei der Parade war für ihn ein kräftiger Minuspunkt gewesen, das gestand er sich niedergeschlagen ein. Auch die Verschiebung der HKL vor dem Angriff auf Bologna und die sieben Tage währende Verzögerung bei der Zerstörung der Brücke von Ferrara waren Minuspunkte, wenn auch, so dachte er aufatmend, die Zerstörung der Brücke selbst wieder ein Stein im Brett für ihn gewesen war. Der Verlust einer Maschine beim zweiten Anflug stellte wiederum einen Minuspunkt dar; ein weiterer Stein im Brett war allerdings, daß er die Auszeichnung für jenen Bombenschützen genehmigt bekommen hatte, der ihm ursprünglich durch seinen zweiten Anflug auf die Brücke den Minuspunkt eingebracht hatte. Der Name dieses Bombenschützen, so fiel ihm plötzlich mit lähmendem Schrecken ein, war ebenfalls Yossarián! gewesen. Jetzt hatte er schon drei! Seine verklebten Augen quollen erstaunt vor, und er wirbelte verängstigt herum, um
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