Catch 22
keiner von beiden, und der Colonel jedenfalls dachte nicht daran, seine Zeit an Liebeleien mit schönen Frauen zu verschwenden, es sei denn, er hätte daraus greifbaren Nutzen ziehen können.
Der Colonel verabscheute die feuchten, einsamen Nächte und die langweiligen ereignislos verlaufenden Tage in seinem Landhaus.
Er war viel lieber beim Stab, wo er jeden, den er nicht fürchten mußte, zur Schnecke machen konnte. Indessen verbreitet ein Landhaus in den Bergen wenig Glanz, wenn man es nicht benutzt, wie Colonel Korn ihm immer wieder vor Augen führte.
Colonel Cathcart trat die Fahrt zu seinem Landhaus stets voller Selbstmitleid an. Er führte eine Schrotbüchse mit und verbrachte die eintönigen Stunden, indem er auf Vögel und jene Tomaten feuerte, die dort ungepflegt wuchsen, und die zu ernten niemand sich die Mühe nehmen wollte.
Unter die Offiziere niedrigeren Ranges, die mit Respekt zu behandeln Colonel Cathcart für tunlich hielt, zählte er Major — de Coverley, wenn auch nicht gerne und obwohl er nicht genau wußte, ob das wirklich nötig war. Major — de Coverley war für Colonel Cathcart ein ebensolches Rätsel wie für Major Major und jeden anderen, dem er vor Augen kam. Colonel Cathcart wußte einfach nicht, ob er zu Major — de Coverley aufsehen oder auf ihn herabsehen sollte. Major — de Coverley war nur Major, obwohl er viel älter war als Colonel Cathcart; andererseits aber behandelten so viele andere Major — de Coverley mit so tiefer und ängstlicher Verehrung, daß es Colonel Cathcart so vorkam, als wüßten sie etwas Besonderes. Major — de Coverley war eine bedrohliche, unverständliche Gegenwart, die ihn unablässig beunruhigte und die sogar von Colonel Korn mit Vorsicht behandelt wurde. Alle fürchteten ihn, und niemand wußte warum. Es kannte auch niemand Major — de Coverleys Vornamen, weil nie jemand den Mut aufgebracht hatte, ihn danach zu fragen. Colonel Cathcart wußte, daß Major — de Coverley augenblicklich nicht da war und genoß glücklich dessen Abwesenheit, bis ihm einfiel, Major — de Coverley könne sich entfernt haben, um irgendwo gegen ihn zu konspirieren, und da wünschte er, Major — de Coverley möge zu seiner Staffel zurückkehren, wo er hingehörte, und wo man ihn unter Beobachtung halten konnte.
Nach einem Weilchen begannen Colonel Cathcarts Füße vom vielen Hin- und Hergehen zu schmerzen. Er setzte sich wieder an seinen Tisch und beschloß, eine durchdachte und systematische Bewertung der gesamten militärischen Situation vorzunehmen. Mit der sachlichen Miene eines Mannes, der es versteht, ein großes Pensum Arbeit zu erledigen, ergriff er einen weißen Block, zog in der Mitte einen Strich von oben nach unten, machte ziemlich weit oben einen Querstrich und teilte damit die Seite in zwei leere, gleichgroße Felder. Er ruhte einen Augenblick zu kritischer Betrachtung aus. Dann beugte er sich tief über den Tisch und schrieb links oben in gedrängter, affektierter Schrift: »Minuspunkte!!!« Über das rechte Feld schrieb er »Steine im Brett!!!!« Dann lehnte er sich noch einmal zurück, um dieses Werk bewundernd von einem objektiven Gesichtspunkt her zu betrachten. Gleich darauf leckte er feierlich und entschieden die Spitze seines Bleistiftes an und schrieb unter »Minuspunkte!!!«
nach spannungsgeladenen Pausen: Ferrara Bologna (Verschiebung der HKL während der Belagerung von) Tontaubenschießstand Nackter Mann bei Parade (nach Avignon) Dann fügte er hinzu: Vergiftetes Essen (während Bologna) und Stöhnen (krankhaftes, während Einweisung für Avignon) Darunter schrieb er: Kaplan (drückt sich jeden Abend im Offizierskasino herum) Er beschloß, freundlich gegen den Kaplan zu sein, obwohl er ihn nicht leiden mochte, und schrieb deshalb in die Spalte »Steine im Brett!!!!!« Kaplan (drückt sich jeden Abend im Offizierskasino herum) Die beiden Eintragungen bezüglich des Kaplans hoben einander nun auf. Neben »Ferrara« und »Nackter Mann bei Parade (nach Avignon)« schrieb er dann Yossarián!
Neben »Bologna (Verschiebung der HKL während Belagerung von)«, »Vergiftetes Essen (während Bologna)« und »Stöhnen (krankhaftes während Einweisung für Avignon)«, schrieb er mit kühner, entschlossener Hand: ?
Die mit einem »?« versehenen Eintragungen waren die, welche er sogleich prüfen wollte, um festzustellen, ob Yossarián eine Rolle dabei gespielt hatte.
Plötzlich begann sein Arm zu zittern, und er war außerstande, weiter zu schreiben. Er
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