Catch 22
warteten, hatten sie nichts weiter zu tun, als sorgenvoll an den Nägeln zu kauen und sich mehrmals am Tage in feierlicher Prozession zu Sergeant Towser zu begeben und ihn zu fragen, ob die Marschbefehle in die Heimat eingetroffen seien.
Es war ein Wettrennen, und das wußten alle, denn alle wußten aus bitterer Erfahrung, daß Colonel Cathcart jederzeit imstande war, die Zahl der geforderten Feindflüge heraufzusetzen. Sie hatten nichts besseres zu tun als zu warten. Nur Hungry Joe hatte immer, wenn er sein Pensum erledigt hatte, etwas besseres zu tun.
Er schrie dann in seinen Träumen und siegte in Faustkämpfen gegen Huples Katze. Zu jeder Vorführung des Fronttheaters erschien er mit seiner Kamera in der ersten Reihe und versuchte, unter die Röcke der blonden Sängerin zu photographieren, die in einem Paillettenkleid, das so aussah, als wollte es platzen, zwei strotzende Brüste eingesperrt hielt. Aus den Bildern wurde aber nie was.
Colonel Cargill, General Peckems Mädchen für alles, war ein aggressiver rotgesichtiger Mann. Vor dem Krieg war er ein wacher, energischer, agiler Absatzplaner gewesen. Er war ein sehr schlechter Absatzplaner. Colonel Cargill war ein so grauenhafter Absatzplaner, daß Firmen, die aus Steuergründen Verluste aufweisen wollten, sich um seine Dienste rissen. In der ganzen zivilisierten Welt, das heißt also von Battery Park bis Fultonstreet, wußte man, daß man sich auf ihn verlassen konnte, wenn man eilig Verluste für die Bilanz brauchte. Er nahm hohe Honorare, denn der Mißerfolg kommt selten von allein. Er mußte ganz oben anfangen und sich nach unten durcharbeiten, und da er über verständnisvolle Freunde in Washington verfügte, war es gar nicht einfach für ihn, Verluste zu erzielen. Das erforderte monatelange, harte Arbeit und sorgsamste Fehlplanung. Wohl konnte er ein heilloses Durcheinander anrichten, sich verrechnen, jede Chance übersehen und sich alle Auswege verstopfen, aber gerade, wenn er am Ziel zu sein glaubte, schenkte ihm der Staat einen See oder einen Wald oder eine Ölquelle und verdarb alles.
Doch selbst unter so ungünstigen Voraussetzungen war Verlaß darauf, daß Colonel Cargill auch das bestfundierte Unternehmen zugrunde richten würde. Er war ein selfmade man und niemandem für seinen Mangel an Erfolg zu Dank verpflichtet.
»Männer«, redete Colonel Cargill Yossariáns Staffel an und bemaß sorgfältig seine Pausen. »Männer, ihr seid amerikanische Offiziere. Das können die Offiziere keiner anderen Armee der Welt von sich behaupten. Denkt mal darüber nach.«
Sergeant Knight dachte darüber nach und wies Colonel Cargill höflich darauf hin, daß er hier vor Unteroffizieren und Mannschaften stehe, während die Offiziere ihn auf der anderen Seite des Geschwaderbereiches erwarteten. Colonel Cargill bedankte sich forsch und glühte förmlich vor Selbstzufriedenheit, als er mit weitausholenden Schritten davon ging. Der Gedanke, daß neunundzwanzig Monate Dienstzeit sein Talent zur Albernheit nicht im geringsten abgestumpft hatten, erfüllte ihn mit Stolz.
»Männer«, begann er seine Ansprache an die Offiziere und bemaß sorgfältig seine Pausen, »Männer, ihr seid amerikanische Offiziere. Die Offiziere keiner anderen Armee der Welt können das von sich behaupten. Denkt mal darüber nach.« Er schwieg einen Augenblick, um ihnen Zeit zu lassen, darüber nachzudenken. »Diese Schauspieler sind eure Gäste!« brüllte er plötzlich.
»Sie sind mehr als 3000 Meilen gereist, um euch zu unterhalten.
Was sollen diese Menschen denken, wenn keiner von euch Lust hat, ihnen zuzusehen? Da müssen sie ja ihren .ganzen Schneid verlieren. Also, mir kann es ja einerlei sein, Männer, aber das Mädchen, das heute für euch auf der Ziehharmonika spielen will, ist alt genug, um Mutter zu sein. Wie wäre euch wohl zumute, wenn eure Mütter 3000 Meilen weit reisten, um vor Soldaten Ziehharmonika zu spielen, die keine Lust haben, zuzuhören?
Was soll das Kind, das diese Ziehharmonikaspielerin haben könnte, davon halten, wenn es größer wird und erfährt, wie wir uns benommen haben? Die Antwort darauf wissen wir alle. Ich möchte jedes Mißverständnis vermeiden, Männer. Das alles ist selbstverständlich freiwillig, und ich wäre der Letzte, euch zu befehlen, zu der Vorstellung zu gehen und euch zu amüsieren, aber ich verlange, daß jeder einzelne, der nicht lazarettreif ist, auf der Stelle zu jener Aufführung geht und sich amüsiert, und "das ist ein dienstlicher
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