Catch 22
Drehpunkt winden und drehen, ehe sie sich endlich losmachen und mit aschfarbenen, bebenden Lippen und ganz außer sich den Gang hinunterfliehen konnte. Sie retirierte aber zu weit, und Dunbar, der von Anfang an zugesehen hatte, sprang ohne Warnung auf seinem Bett vor und warf ihr von hinten beide Arme um den Busen. Schwester Duckett schrie wiederum auf, entwand sich Dunbars Griff und wich so weit zurück, daß Yossarián sie mit kühnem Griff erneut, beim Henkel packen konnte. Schwester Duckett flog durch den Gang wie ein Ping-Pong-Ball auf Beinen, Dunbar saß wachsam da, bereit zuzufassen. Sie erinnerte sich seiner im letzten Augenblick und sprang zur Seite. Dunbar verfehlte sie, segelte über sein Bett und an ihr vorbei, landete mit einem matschigen, knurkelnden Bums auf dem Kopf und verlor das Bewußtsein.
Er erwachte noch auf dem Fußboden. Seine Nase blutete, und er hatte nun wirklich genau jene Kopfschmerzen, die er zuvor simuliert hatte. Die Station war in Aufruhr. Schwester Duckett schwamm in Tränen, und Yossarián saß neben ihr auf der Bettkante und tröstete sie. Der Oberstabsarzt schäumte und gab Yossarián zu verstehen, er wolle nicht dulden, daß Patienten sich Freiheiten gegen sein Personal herausnähmen.
»Weshalb brüllen Sie ihn an?« fragte Dunbar kläglich vom Fußboden her, zuckte aber zusammen, denn die Vibration seiner Stimme schmerzte in den Schläfen. »Er hat doch gar nichts getan.«
»Sie meine ich!« bellte der hagere, würdige Oberstabsarzt aus Leibeskräften. »Sie werden für ihr Verhalten bestraft werden!«
»Weshalb brüllen Sie ihn an?« rief Yossarián. »Er hat nichts getan. Er ist bloß auf den Kopf gefallen!«
»Und Sie meine ich ebenfalls!« wandte sich der Oberstabsarzt wütend gegen Yossarián. »Sie werden es noch sehr bedauern, daß Sie Schwester Duckett an die Brust gefaßt haben.«
»Ich habe Schwester Duckett nicht an die Brust gefaßt«, sagte Yossarián.
»Ich habe Schwester Duckett an die Brust gefaßt«, sagte Dunbar.
»Sind Sie beide verrückt?« kreischte der Arzt und wich blaß und unsicher zurück.
»Ja, er ist wirklich verrückt, Doc«, versicherte Dunbar.
»Er träumt jede Nacht, daß er einen lebenden Fisch in der Hand hält.«
Der Arzt blieb wie angewurzelt stehen, blickte sich hochmütig und angewidert um, und es wurde still auf der Station. »Was tut er?«
»Er träumt, daß er einen lebenden Fisch in der Hand hält.«
»Was für eine Sorte Fisch?« erkundigte sich der Arzt streng bei Yossarián.
»Weiß ich nicht«, versetzte Yossarián. »Ich kann Fische nicht voneinander unterscheiden.«
»In welcher Hand halten Sie ihn?«
»Das kommt darauf an«, antwortete Yossarián.
»Es kommt auf die Sorte Fisch an«, fügte Dunbar hilfsbereit hinzu.
Der Oberstabsarzt drehte sich um und blickte Dunbar aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen an. »So? Woher wissen Sie eigentlich soviel darüber?«
»Ich komme ebenfalls in dem Traum vor«, sagte Dunbar, ohne eine Miene zu verziehen.
Der Oberstabsarzt wurde rot vor Verlegenheit. Er stierte die beiden mit kalten, haßerfüllten Augen an. »Stehen Sie auf, und legen Sie sich ins Bett«, befahl er Dunbar durch zusammengepreßte Lippen. »Und ich möchte über diesen Traum von keinem von Ihnen auch nur ein Wort mehr hören. Ich habe es nicht nötig, mir solch schmutzigen Unfug anzuhören, dafür habe ich meine Leute.«
»Warum«, fragte Stabsarzt Sanderson, der lasche, untersetzte, lächelnde Psychiater, an den der Oberstabsarzt Yossarián verwiesen hatte, »warum findet Oberstabsarzt Ferredge Ihren Traum wohl ekelhaft?«
Yossarián erwiderte respektvoll: »Der Grund dafür ist vermutlich entweder in einer Eigenschaft des Traumes zu suchen oder in einer Eigenheit von Oberstabsarzt Ferredge.«
»Sehr gut formuliert«, applaudierte Stabsarzt Sanderson, der knarrende Feldstiefel trug und dessen kohlrabenschwarzes Haar beinahe senkrecht vom Kopfe abstand. »Aus irgendeinem Grund«, vertraute er Yossarián an, »erinnert Oberstabsarzt Ferredge mich stets an eine Möwe. Er setzt kein großes Vertrauen in die Psychiatrie.«
»Sie mögen Möwen wohl nicht leiden?« fragte Yossarián.
»Nein, nicht sehr«, gestand Sanderson mit einem scharfen nervösen Lachen und zog liebevoll an seinem zweiten vollen Kinn, als sei dieses ein Bart. »Ich finde Ihren Traum übrigens ganz reizend und hoffe sehr, daß Sie ihn noch oft träumen, damit wir uns immer wieder darüber unterhalten können. Möchten Sie
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