Catch 22
rauchen?« Er lächelte, als Yossarián ablehnte. »Warum«, fragte er mit wissender Miene, »warum empfinden Sie wohl einen so starken Widerwillen dagegen, eine Zigarette von mir anzunehmen?«
»Weil ich gerade erst eine ausgemacht habe. Da glimmt sie noch in Ihrem Aschenbecher.«
Stabsarzt Sanderson kicherte. »Eine geradezu geniale Ausrede.
Doch das eigentliche Motiv wird sich gewiß bald erweisen.« Er knüpfte nachlässig seinen Schnürsenkel zur Schleife und nahm dann einen Schreibblock vom Tisch. »Nun also zu dem Fisch, von dem Sie träumen. Es ist wohl immer der gleiche Fisch, wie?«
»Ich weiß nicht«, sagte Yossarián. »Es fällt mir schwer, Fische wiederzuerkennen.«
»Woran erinnert Sie dieser Fisch?«
»An andere Fische.«
»Und woran erinnern Sie andere Fische?«
»An wieder andere Fische.«
Stabsarzt Sanderson lehnte sich enttäuscht zurück. »Mögen Sie Fische gern?«
»Nicht besonders.«
»Warum haben Sie wohl eine so krankhafte Abneigung gegen Fische?« fragte der Stabsarzt triumphierend.
»Sie schmecken nach nichts«, antwortete Yossarián, «und haben zu viele Gräten.«
Stabsarzt Sanderson nickte verstehend und lächelte freundlich und hinterhältig. »Ein sehr interessanter Vorwand. Doch wir werden die wahre Ursache bald genug herausbekommen. Haben Sie diesen speziellen Fisch gern, den Sie da in der Hand halten?«
»Ich hege keinerlei Gefühle für oder gegen diesen Fisch.«
»Verabscheuen Sie den Fisch? Empfinden Sie ihn als Feind?
Möchten Sie ihn vernichten?«
»Nein, überhaupt nicht. Eher schon habe ich den Fisch recht gern.«
»Sie haben ihn also gern.«
»O nein, ich hege keinerlei Gefühle für oder gegen diesen Fisch.«
»Sie haben doch aber eben gesagt, Sie hätten ihn ganz gern. Und jetzt behaupten Sie, keinerlei Gefühle für oder gegen den Fisch zu haben. Ich habe Sie also auf einem Widerspruch ertappt, nicht wahr?«
»Jawohl, Sir. Sie haben mich auf einem Widerspruch ertappt.«
Stabsarzt Sanderson schrieb mit dem dicken schwarzen Stift stolz »Widerspruch« auf seinen Block. »Warum«, fuhr er dann fort und blickte auf, »warum haben Sie über den Fisch diese beiden Erklärungen abgegeben, deren emotioneller Gehalt ein zweideutiger ist?«
»Ich nehme an, daß meine Haltung in bezug auf den Fisch eine ambivalente ist.«
Als Stabsarzt Sanderson die Worte ambivalente Haltung vernahm, sprang er vor Freude in die Höhe. »Endlich eine verständnisvolle Seele!« rief er und rieb sich entzückt die Hände. »Ach, Sie können sich nicht vorstellen, wie entsetzlich einsam ich mich gefühlt habe! Tag für Tag mußte ich Patienten behandeln, die keinen Schimmer von Psychiatrie haben, mußte mich Menschen widmen, die weder an mir noch an meiner Arbeit das gehörige Interesse nahmen. Das hat mir ein gräßliches Gefühl der Unzulänglichkeit verursacht.« Kummer verdüsterte sein Gesicht. »Und ich kann es nicht loswerden.«
»Wirklich nicht?« fragte Yossarián, der nicht wußte, was sonst er hätte sagen sollen. »Warum, suchen Sie die Schuld für die mangelhafte Bildung anderer Menschen bei sich?«
»Ich weiß ja, daß es blöd ist«, erwiderte Stabsarzt Sanderson und lachte unsicher und gezwungen. »Ich bin aber seit eh und je sehr von der guten Meinung anderer Menschen abhängig gewesen.
Ich bin nämlich später als meine Altersgenossen in die Pubertät gekommen, und das hat mir... nun, alle möglichen Probleme geschaffen. Ich will das alles gerne mit Ihnen erörtern. Es liegt mir so auf der Seele, damit anzufangen, daß ich keine Lust habe, noch einmal zu Ihren Beschwerden abzuschweifen, aber es muß wohl sein. Oberstabsarzt Ferredge wäre böse, wenn er erführe, daß wir all unsere Zeit nur auf die Lösung meiner Probleme verwenden. Ich möchte Ihnen jetzt gerne ein paar Kleckse vorführen, um festzustellen, welche Vorstellungen gewisse Umrisse und Farben in Ihnen erwecken.«
»Sie können sich die Mühe sparen, Doktor. Alles erinnert mich an Sex.«
»Wirklich?« krähte Stabsarzt Sanderson so entzückt, als könne er seinen Ohren nicht trauen. »Jetzt machen wir wirklich Fortschritte. Haben Sie jemals gute sexuelle Träume?«
»Mein Fischtraum ist ein sexueller Traum.«
»Nein — ich meine richtige Sexualträume, in denen Sie ein nacktes Weib am Genick packen, sie kneifen, ihr das Gesicht zerschlagen, bis sie ganz blutig ist! Dann werfen Sie sich über sie, um sie zu vergewaltigen, brechen aber in Tränen aus, weil Sie sie so lieben und zugleich
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