Catch 22
das ist aber nicht meine Schuld, und in meiner Maschine hat noch keiner einen Kratzer abbekommen. Jawohl, mein Lieber, wenn du nur einen Funken Verstand hast, gehst du jetzt auf der Stelle zu Piltchard und Wren und verlangst, in Zukunft mit mir zu fliegen.«
Yossarián beugte sich vor und blickte scharf in die undurchdringliche Maske aus einander widersprechenden Gefühlen.
»Willst du damit was bestimmtes sagen?«
»Hihihi!« war Orrs Antwort. »Ich versuche bloß, dir zu sagen, warum mir das dicke Mädchen damals immer mit dem Schuh auf den Nüschel geschlagen hat, aber du läßt mich ja nicht.«
»Dann sag es also.«
»Fliegst du dann mit mir?«
Yossarián lachte und schüttelte den Kopf. »Du wirst nur wieder abgeschossen und gehst in den Bach.«
Als jener Einsatz nach Bologna geflogen wurde, von dem das Gerücht schon wußte, wurde Orr wirklich abgeschossen und setzte seine einmotorige Maschine knallhart auf die kabbeligen, schaumigen Wellen, die der Wind unter den kriegerischen, schwarzen Wolkenbänken aufgewühlt hatte, welche am Himmel mobil machten. Er verspätete sich beim Verlassen des Flugzeuges und saß schließlich allein in einem Floß, das von den Männern im anderen Floß abtrieb und schon außer Sichtweite war, als der Rettungskutter durch Wind und Regen herangestampft kam, um die Besatzung an Bord zu nehmen. Als sie zum Geschwader zurückkehrten, dunkelte es bereits. Von Orr kein Wort.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Kid Sampson tröstend, der noch die schweren Decken und den Regenmantel trug, welche die Rettungsmannschaft ihm übergeworfen hatte. »Wenn er nicht während des Gewitters ertrunken ist, hat man ihn vermutlich schon aufgegriffen. Lange hat es ja nicht gestürmt, und ich wette, daß er jeden Augenblick auftaucht.«
Yossarián ging ins Zelt zurück und wartete darauf, daß Orr jeden Augenblick auftauche. Er machte Feuer, um das Zelt zu seinem Empfang zu wärmen. Der Ofen funktionierte perfekt, er brannte mit einer starken, fauchenden Flamme, die vermittels des Ventils, das Orr schließlich doch noch repariert hatte, kleiner oder größer gestellt werden konnte. Es fiel ein leichter Regen, der sanft auf das Zelt, auf die Bäume und den Boden trommelte.
Yossarián wärmte eine Dose Suppe für Orr, löffelte sie dann aber selber aus, während die Zeit verging. Er kochte Eier für Orr und aß auch diese auf. Dann aß er ein Stück Käse.
Immer wenn er sich dabei ertappte, daß er Angst um Orr hatte, zwang er sich daran zu denken, daß Orr zu allem fähig war, und er brach bei der Vorstellung von Orr auf dem Floß, so wie Sergeant Knight ihn beschrieben hatte, in lautloses Lachen aus. Er sah ihn, wie er, geschäftig über Karte und Kompaß gebeugt, lächelte, ein nasses Stück Schokolade nach dem anderen in den grinsenden, kichernden Mund schob und derweil pflichtgetreu mit dem hellblauen, nutzlosen Löffelchen durch Blitz, Donner und Regen dahin paddelte, die Angelleine mit dem Trockenköder hinter sich ausgeworfen. Yossarián bezweifelte Orrs Fähigkeit zu überleben tatsächlich keinen Augenblick. Falls man mit dieser lächerlichen Angelleine überhaupt Fische fangen konnte, so würde Orr sie fangen, und falls Orr es auf Kabeljau abgesehen hatte, dann würde er auch Kabeljau fangen, selbst wenn nie ein Mensch zuvor in diesen Gewässern Kabeljau gefangen hatte.
Yossarián stellte noch eine Dose mit Suppe auf den Ofen und löffelte auch diese leer, als sie heiß geworden war. Wenn er eine Autotür zuschlagen hörte, begann er hoffnungsvoll zu lächeln, drehte das Gesicht in gespannter Erwartung dem Eingang zu und lauschte auf Schritte. Er wußte, daß Orr jeden Augenblick ins Zelt kommen konnte; mit den großen, glänzenden regenfeuchten Augen, Wangen und Pferdezähnen, angetan mit einem gelben Südwester, der mehrere Nummern zu groß für ihn war, würde er einem munteren Austernfischer von der Küste Neuenglands geradezu lachhaft ähnlich sehen; und zu Yossariáns Belustigung würde er einen großen Kabeljau gefangen haben und ihn stolz vor sich hin in die Luft halten. Aber er kam nicht.
Peckem
Auch am nächsten Tag war von Orr nichts zu hören, und Sergeant Whitcomb merkte mit lobenswerter Promptheit und voller Hoffnung in seinem Kalender an, daß er nach Verlauf von weiteren neun Tagen einen Schemabrief mit Colonel Cathcarts Unterschrift an Orrs Angehörige abschicken durfte. Statt dessen ließ sich der Stab von General Peckem vernehmen, und Yossarián trat zu den
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