Catch 22
Offizieren und Mannschaften, die sich in Shorts oder Badehose unwillig knurrend und verwirrt um das Schwarze Brett vor der Schreibstube drängten.
»Ich möchte doch mal wissen, inwiefern dieser Sonntag anders ist als andere Sonntage«, erkundigte Hungry Joe sich brüllend bei Häuptling White Halfoat. »Warum soll ausgerechnet diesen Sonntag nicht exerziert werden, wenn doch ohnehin an keinem Sonntag exerziert wird? Was?« Yossarián drängte sich nach vorne durch und stöhnte gepeinigt, als er die dort angeschlagene knappe Verlautbarung las: Aufgrund unvorhergesehener Ereignisse fällt der Exerzierdienst am kommenden Sonntag aus.
Colonel Schittkopp.
Also hatte Dobbs recht. Man schickte jeden nach Übersee, selbst Colonel Schittkopp, der sich aus Leibeskräften und unter Aufbietung all seines Witzes dagegen gewehrt und sich höchst mißvergnügt bei General Peckem zum Dienstantritt gemeldet hatte.
General Peckem hieß Colonel Schittkopp mit überschwenglicher Herzlichkeit willkommen und behauptete, von Colonel Schittkopps Ankunft entzückt zu sein. Ein neuer Colonel für seinen Stab bedeutete, daß er nun zwei weitere Majore, vier Captains, sechzehn Leutnants und ungezählte Mengen von Mannschaften, Schreibmaschinen, Schreibtischen, Aktenschränken, Automobilen und anderen bedeutenden Ausrüstungsgegenständen und Versorgungsgütern anfordern durfte, was alles das Prestige seiner Stellung und seine Kampfkraft in seinem Krieg gegen General Dreedle erhöhen mußte. Er verfügte jetzt über zwei Colonels; General Dreedle hatte nur fünf, von denen vier zur kämpfenden Truppe gehörten. Fast ohne intrigieren zu müssen, hatte General Peckem ein Manöver ausgeführt, das am Ende eine Verdoppelung seiner Stärke bewirken mußte. Und es kam hinzu, daß General Dreedle sich immer öfter betrank. Die Zukunft sah rosig aus. General Peckem betrachtete seinen tüchtigen neuen Colonel ganz verzaubert und lächelte ihn strahlend an.
Wie General Peckem selbst oft bemerkte, wenn er daran ging, öffentlich die Tätigkeit eines engen Mitarbeiters zu tadeln, war er in allen wesentlichen Dingen Realist. Er war ein gutaussehender Dreiundfünfziger mit rosiger Haut. Sein Benehmen war stets ungezwungen und gelassen, seine Uniform maßgeschneidert. Er hatte silbergraues Haar, etwas kurzsichtige Augen und dünne, hängende, sinnliche Lippen. Er war ein scharfsichtiger, geschmeidiger, weltgewandter Mann, der jedermanns Schwächen, ausgenommen seine eigenen, sogleich entdeckte, und alle Welt, mit Ausnahme der eigenen Person, für lächerlich hielt.
General Peckem war in Dingen des Geschmacks und des persönlichen Stils anspruchsvoll und schwer zu befriedigen.
Unternehmungen wurden von ihm initiiert. Ereignisse standen nie bevor, sondern kamen auf ihn zu. Es stimmte nicht, daß er Memoranden verfaßte, in denen er sein Lob sang und empfahl, daß seine Zuständigkeit künftig sämtliche Kriegsoperationen einbegreifen solle, sondern er verfaßte Memoranda. Denkschriften anderer Offiziere wirkten stets dubios, ennuyierend oder ambivalent.
Die Fehler der anderen waren unvermeidlich höchst beklagenswert.
Vorschriften waren stets obligatorisch. General Peckem sah sich oft durch force majeur zu etwas genötigt und so manches Mal handelte er mit skrupulöser Exaktheit. Er vergaß nie, daß schwarz und weiß keine Farben sind. Er vermochte geläufig aus den Werken von Plato, Nietzsche, Montaigne, Theodore Roosevelt, dem Marquis de Sade und Warren G. Harding zu zitieren. Ein noch jungfräulicher Zuhörer, wie Colonel Schittkopp, war für General Peckem ein gefundenes Fressen, denn er bot ihm Gelegenheit, seinen prächtigen Schatz von angelesenen Kalauern, Limericks, Spottversen, Kanzelsprüchen, Anekdoten, Sprichwörtern, Epigrammen, Kernsprüchen, bon mots und sonstigen beißenden Redensarten zur Schau zu stellen. Urban lächelnd, begann er Colonel Schittkopp in dessen neue Umgebung einzuführen.
»Mein einziger Fehler ist«, bemerkte er mit eingeübtem Humor und beobachtete die Wirkung seiner Worte, »daß ich keine Fehler habe.«
Colonel Schittkopp lachte nicht, und General Peckem war erschüttert. Schwere Zweifel legten sich erstickend auf seinen Enthusiasmus. Da hatte er nun das Gespräch mit einem seiner erprobtesten Paradoxe eröffnet und mußte es erleben, daß sich auch nicht die geringste Bewegung auf dem undurchdringlichen Gesicht vor ihm zeigte, das ihn plötzlich nach Farbe und Textur an einen unbenutzten, weichen Radiergummi
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