Catch 22
Weinflasche über ihn her, traf ihn an der Schläfe, und er ging halb betäubt in die Knie. In seinen Ohren dröhnte es, und sein Gesicht war taub. Er empfand hauptsächlich Verlegenheit. Es war ihm peinlich, daß sie im Begriff war, ihn zu ermorden. Er verstand einfach nicht, was vorging. Er wußte nicht, was tun. Doch fühlte er, daß er sich retten müsse, und er schoß vom Fußboden hoch, als er sah, wie sie die Weinflasche hob, um ihm noch einen Schlag zu versetzen. Er rannte ihr den Kopf in die Rippen, ehe sie ihn traf. Er hatte genügend Schwung und schob sie rückwärts durchs Zimmer, bis ihre Knie den Rand des Bettes berührten, einknickten und sie rückwärts auf die Matratze fiel, Yossarián zwischen ihre gespreizten Beine. Sie krallte ihre Fingernägel in seinen Hals, während er sich über die festen Höhen und Tiefen ihres rundlichen Körpers heraufarbeitete, bis er völlig auf ihr lag und sie unter sich zwang. Seine Finger tasteten sich an den wirbelnden Armen herauf, bis sie schließlich bei der Weinflasche anlangten und sie ihr entrissen. Immer noch strampelte, fluchte und kratzte sie aus Leibeskräften. Sie versuchte, ihn zu beißen; ihre gewöhnlichen, sinnlichen Lippen waren verzerrt, und sie bleckte die Zähne wie ein geiferndes Tier. Nun, da sie gefangen unter ihm lag, überlegte er, wie er sich von ihr lösen könnte, ohne neuerlich Schaden zu nehmen.
Er fühlte die zuckenden Innenseiten ihrer strampelnden Schenkel sich um eines seiner Beine winden. Sexuelle Phantasien regten sich in ihm und erfüllten ihn mit Scham. Er war sich ihres üppigen Fleisches, ihres festen jungen Körpers bewußt, der sich gegen ihn hob und ihn bedrängte wie ein feuchter, flüssiger, lieblicher, saugender Ebbestrom. Ihr Bauch und die warmen, lebendigen, festen Brüste preßten sich wie eine süße, bedrohliche Versuchung gegen ihn. Ihr Atem war glühend heiß. Plötzlich fühlte er — obgleich der zuckende Aufruhr unter ihm nicht im mindesten nachgelassen hatte —, daß sie sich nicht länger mehr wehrte, fühlte zitternd, daß sie nicht mehr widerstrebte, sondern ihm unbarmherzig in dem urtümlichen, machtvollen, rhapsodischen, instinktiven Rhythmus erotischer Besessenheit entgegenkam. Er keuchte vor Entzücken und Überraschung. Ihr Gesicht, das ihm nun schön schien wie eine geöffnete Blume, war von einer neuen Qual verzerrt, ihre Haut schwoll, und über den halbgeschlossenen Augen lag der Nebel töricht schmachtender, blinder Begierde.
»Caro«, murmelte sie heiser und wie aus der Tiefe einer lähmenden, wohligen Betäubung. »Uuuuuuuh, caro mio.«
Er streichelte ihr Haar. Sie drängte ihren brennenden Mund an sein Gesicht. Er fuhr mit der Zunge über ihren Hals, sie umschlang ihn und preßte ihn an sich. Er fühlte, wie er sich rasend in sie verliebte, während sie ihn wieder und wieder küßte, mit Lippen, die dampfend und feucht und weich und hart waren, ganz außer sich vor Entzücken tiefe, schmeichelnde Kehltöne ausstieß, mit einer Hand kosend über seinen Rücken und unter seinen Gürtel fuhr und mit der anderen insgeheim und verräterisch auf dem Fußboden nach dem Brotmesser tastete und es auch fand.
Er rettete sich im allerletzten Augenblick. Sie wollte ihn also noch immer töten! Entsetzt und verblüfft von dieser gemeinen Verstellungskunst riß er ihr das Messer aus der Hand und schleuderte es weg. Er sprang aus dem Bett, ratlos und aller seiner Illusionen beraubt. Er wußte nicht, sollte er durch die Tür in die Freiheit flüchten oder auf das Bett zurückfallen und sich ihr verliebt und willenlos ausliefern. Sie ersparte ihm die Entscheidung, indem sie ganz unvermutet in Tränen ausbrach. Wiederum war er starr vor Staunen.
Dieses Mal waren es einzig Tränen des Kummers, eines schweren, niederdrückenden, demütigen Kummers, und keiner ihrer Gedanken galt mehr Yossarián. Sie senkte den stolzen, lieblichen, wirrhaarigen Kopf, ließ die Schultern hängen, und all ihr Mut schmolz dahin. Ihr Jammer war ergreifend. Dieses Mal war keine Täuschung möglich, sie litt. Langes, qualvolles Schluchzen schüttelte und erstickte sie fast. Sie wußte nicht mehr, daß er da war, es war ihr auch einerlei. Jetzt hätte er gefahrlos das Zimmer verlassen können, doch entschloß er sich, zu bleiben und ihr zu helfen.
»Ach, bitte«, drängte er sie ungeschickt, den Arm um ihre Schulter gelegt. Ihm fiel ein, wie unfähig zu sprechen und wie schwach er damals auf dem Rückflug von Avignon gewesen war, als
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