Catch 22
Obstsäfte, wie er verlangt«, hatte Doc Daneeka geschrieben. »Er behauptet, eine empfindliche Leber zu haben.«
»Ein solcher Brief«, murmelte Milo verzweifelt, »kann jeden Meßoffizier ruinieren.« Milo war der Kiste mit den für ihn verlorenen Vorräten wie ein Leidtragender durch den Staffelbereich bis zu Yossariáns Zelt gefolgt, nur um das Attest noch einmal zu lesen. »Ich muß dir so viel geben, wie du verlangst. Und dabei heißt es in dem Attest nicht einmal, daß du alles selber essen mußt.«
»Gott sei Dank nicht«, sagte Yossarián, »ich esse nämlich nichts davon. Ich habe eine empfindliche Leber.«
»Richtig, das war mir entfallen«, sagte Milo mit ehrfürchtig gesenkter Stimme. »Ist es sehr schlimm mit der Leber?«
»Gerade schlimm genug«, erwiderte Yossarián heiter.
»Ah«, sagte Milo. »Was heißt das?«
»Das heißt, es könnte nicht besser sein . ..«
»Ich glaube, ich verstehe nicht.«
». . , ohne schlechter zu werden. Verstehst du jetzt?«
»Ja, ich verstehe es wohl, aber begreifen kann ich es immer noch nicht.«
»Nun, zerbrich dir deshalb nicht den Kopf. Laß mich mir meinen Kopf darüber zerbrechen. Ich habe nämlich gar keine überempfindliche Leber. Ich habe nur die Symptome. Ich habe ein Garnett-Fleischaker Syndrom.«
»Aha«, sagte Milo, »und was ist ein Garnett-Fleischaker Syndrom?«
»Eine empfindliche Leber.«
»So«, sagte Milo und begann seine schwarzen Augenbrauen zu kneten, wobei er aussah, als empfinde er innerlich große Schmerzen und warte darauf, daß sie nachließen. »In diesem Fall«, sagte er schließlich, »mußt du wohl sehr vorsichtig mit dem Essen sein.«
»Ja, sehr vorsichtig«, erklärte ihm Yossarián. »Es ist gar nicht einfach, an ein gutes Garnett-Fleischaker Syndrom zu kommen, und ich will meins nicht ruinieren. Deshalb esse ich auch niemals Obst.«
»Jetzt begreife ich endlich«, sagte Milo. »Obst ist schädlich für deine Leber.«
»Nein, Obst bekommt meiner Leber ausgezeichnet, und eben deshalb esse ich keins.«
»Aber was machst du denn damit?« verlangte Milo zu wissen, der sich beharrlich durch diese steigende Verwirrung einen Weg gebahnt hatte, um endlich die Frage hervorstoßen zu können, die ihm auf den Lippen brannte. »Verkaufst du es?«
»Ich verschenke es.«
»An wen?« rief Milo, und seine Stimme zitterte vor Gram.
»An jeden, der es haben will«, schrie Yossarián ihn seinerseits an.
Milo stieß ein gedehntes, melancholisches Geheul aus und begann zu schwanken. Schweißperlen bedeckten sein aschgraues Gesicht.
Er zupfte zerstreut an seinem unglückseligen Schnurrbart und zitterte am ganzen Leibe.
»Einen großen Teil gebe ich an Dunbar«, fuhr Yossarián fort.
»Dunbar?« wiederholte Milo mühsam.
»Ganz recht. Dunbar kann soviel Obst essen wie er will, ohne daß es ihm im mindesten nützt. Ich lasse die Kiste einfach offen vor dem Zelt stehen, und wer vorbeikommt und Appetit hat, nimmt sich was raus. Aarfy holt sich hier Pflaumen; er behauptet, er bekommt in der Messe nie genug Pflaumen. Prüf das mal gelegentlich nach, denn für mich ist es kein Spaß, wenn Aarfy sich hier herumdrückt. Wenn der Vorrat zu Ende geht, füllt Korporal Snark ihn wieder auf. Wenn Nately nach Rom fliegt, nimmt er immer eine ganze Ladung Obst mit. Er hat sich da in eine Nutte verliebt, die mich nicht leiden kann und die sich nicht das geringste aus ihm macht. Sie hat eine jüngere Schwester, die ihn nie allein mit ihr im Bett läßt, und die beiden leben mit einem alten Mann, einer Frau und einer Horde von anderen Mädchen mit netten dicken Beinen, die da auch herumspringen, zusammen in einer Wohnung. Nately bringt bei jedem Besuch eine ganze Kiste voll Obst mit.«
»Verkaufter ihnen das Zeug?«
»Nein, er schenkt es ihnen.«
Milo runzelte die Stirn. »Nun, das ist gewiß sehr großzügig von ihm«, sagte er ohne jede Begeisterung.
»Ja, sehr großzügig«, stimmte Yossarián zu.
»Und es verstößt wohl auch nicht gegen die Vorschriften«, sagte Milo, »da das Zeug dir gehört, sobald du es von mir bekommen hast. Ich nehme an, jene Leute dort in Rom sind angesichts des herrschenden Mangels sehr glücklich darüber.«
»Ja, sehr glücklich«, versicherte Yossarián ihm. »Die beiden Mädchen verhökern alles auf dem Schwarzen Markt, und von dem Erlös kaufen sie falschen Schmuck und billiges Parfüm.«
Milo spitzte die Ohren. »Schmuck!« rief er. »Davon wußte ich gar nichts. Wieviel bezahlen sie für das Parfüm?«
»Der
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