Catch 22
ruhte, ebensowenig vorsätzlich verletzen als sich in einen kriechenden Wurm verwandeln konnte. Einer dieser moralischen Grundsätze lautete: es ist keine Sünde, in jeder Lage den höchsten Preis zu fordern. Er war imstande, machtvolle Ausbrüche selbstgerechter Entrüstung zu inszenieren, und als er erfuhr, daß sich ein CID-Mensch in der Gegend umhertrieb und nach ihm fragte, kannte seine Empörung keine Grenzen.
»Er ist gar nicht hinter dir her«, sagte Yossarián, bemüht, ihn zu beschwichtigen. »Er sucht den, der im Lazarett als Zensor mit Washington Irving unterschrieben hat.«
»Ich habe niemals einen Brief mit Washington Irving unterschrieben«, erklärte Milo.
»Selbstverständlich nicht.«
»Das ist aber auch nur ein Vorwand, mit dem ich zu dem Geständnis gezwungen werden soll, auf dem Schwarzen Markt Geld verdient zu haben.« Milo zerrte heftig an seinem räudigen, farblosen Schnurrbart. »Ich kann solche Kerle nicht leiden. Immer kommen sie und schnüffeln Leuten wie uns hinterher. Warum kümmert man sich nicht lieber um jemanden wie den Exgefreiten Wintergreen? Der respektiert keine Dienstvorschrift, schert sich um keinen Befehl und unterbietet meine Preise.«
Milos Schnurrbart war insofern unglückselig, als die beiden Hälften nicht recht zueinander paßten. Darin glichen sie Milos unsymmetrisch angeordneten Augen, die niemals zur gleichen Zeit den gleichen Gegenstand betrachteten. Milo vermochte mehr zu sehen als die meisten anderen, doch sah er nichts sehr deutlich.
Milo hatte zwar mit Empörung auf die Nachricht von dem Treiben des CID-Menschen reagiert, Yossariáns Mitteilung, Colonel Cathcart habe die Anzahl der erforderten Feindflüge auf fünfundfünfzig heraufgesetzt, nahm er jedoch gefaßt und mutig entgegen.
»Wir befinden uns im Krieg«, sagte er, »es hat keinen Zweck, sich über die Anzahl der Feindflüge, die wir ausführen müssen, zu beklagen. Wenn der Colonel sagt, wir müssen fünfundfünfzig Einsätze fliegen, dann müssen wir sie eben fliegen.«
»Nun, ich jedenfalls nicht«, verschwor sich Yossarián. »Ich melde mich bei Major Major.«
»Wie willst du das machen? Major Major läßt sich niemals sprechen.«
»Dann lege ich mich wieder ins Lazarett.«
»Du bist doch erst vor zehn Tagen rausgekommen«, erinnerte Milo tadelnd. »Du kannst doch nicht jedesmal, wenn etwas geschieht, was dir nicht paßt, ins Lazarett laufen. Nein, es ist schon am besten, du fliegst. Das ist unsere Pflicht.«
Milos zartes Gewissen gestattete ihm nicht, ein Paket entkernter Datteln aus dem Speisesaal an sich zu nehmen, denn Nahrungsmittel, die sich im Speisesaal befanden, galten noch als Staatseigentum.
»Ich kann mir aber welche von dir borgen«, erklärte er Yossarián, »denn das Obst gehört dir, sobald du es gegen Vorweisung des ärztlichen Attestes von mir erhalten hast. Du kannst damit tun, was du willst, kannst es sogar mit großem Profit verkaufen, statt es wegzuschenken. Möchtest du das nicht vielleicht mit mir zusammen tun?«
»Nein.«
Milo gab auf. »So borge mir ein Päckchen entkernter Datteln«, bat er. »Ich gebe sie dir wieder. Ich schwöre, daß ich sie dir wiedergebe, und noch ein bißchen was dazu.«
Milo erwies sich als Ehrenmann. Als er mit dem ungeöffneten Päckchen Datteln und dem grinsenden Dieb mit dem süßen Zahn zurückkam, der McWatts Bettlaken gestohlen hatte, reichte er Yossarián ein Viertel von McWatts gelbem Bettlaken. Dieses Stück Laken gehörte nun Yossarián. Er hatte es im Schlaf verdient, wenn er auch nicht begriff, auf welche Weise. Auch McWatt begriff das nicht.
»Was ist das?« rief MC Watt und starrte verständnislos auf die abgetrennte Hälfte seines Bettlakens.
»Das ist die Hälfte von dem Laken, das heute früh aus deinem Zelt geklaut wurde«, erläuterte Milo. »Ich wette, du weißt nicht mal, daß es überhaupt geklaut worden ist.«
»Warum sollte wohl jemand ein halbes Bettlaken stehlen?«
fragte Yossarián.
Milo wurde verwirrt. »Du verstehst das nicht«, protestierte Milo.
»Er hat das ganze Laken gestohlen, und mit Hilfe des von dir investierten Paketes Datteln habe ich es zurück bekommen. Darum gehört ein Viertel des Lakens dir. Du hast mit deiner Investition einen sehr guten Profit erzielt, um so mehr, als du jede einzelne Dattel zurück bekommst, die du mir gegeben hast.« Dann wandte sich Milo an McWatt. »Das halbe Laken gehört dir, denn ursprünglich hat dir das ganze Laken gehört. Ich verstehe nicht, worüber du
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