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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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Erbleichen neigte.
    Er war nichts weiter als ein schlaksiges, tölpelhaftes, fieberndes Hirn mit verhungerten Augen. Als Harvard-Student hatte er in fast allen Fächern Preise erhalten, und der einzige Grund, warum er nicht in allen übrigen Fächern auch Preise erhalten hatte, war, daß er zuviel Zeit darauf verwendete, Denkschriften zu unterzeichnen, Denkschriften in Umlauf zu setzen und Denkschriften zu widerlegen, Diskussionsgruppen beizutreten und aus Diskussionsgruppen auszutreten, an Jugendkongressen teilzunehmen, andere Jugendkongresse zu boykottieren und' aus Protest gegen die Entlassung von Fakultätsangehörigen Studentenkomitees zu organisieren. Alle waren sich darin einig, daß Clevinger es in der akademischen Welt weit bringen werde. Mit einem Wort: Clevinger gehörte zu den Leuten, die unerhört viel Intelligenz und keinerlei Verstand besitzen, und das wußte jeder, mit Ausnahme derer, die erst noch dahinter kommen sollten.
    Kurzum, er war ein Narr. Yossarián kam er gelegentlich so vor wie eines der modernen Bilder, die in Ausstellungen herumhängen und auf denen man Köpfe sieht, die beide Augen in der gleichen Gesichtshälfte haben. Selbstverständlich war das eine Illusion, bewirkt durch Clevingers Neigung, stur die eine Seite, niemals aber auch die andere Seite der Dinge zu betrachten. Seiner politischen Neigung nach war er ein Humanitarier, der rechts von links zu unterscheiden vermochte und sich unbehaglich zwischen beiden eingeklemmt fand. Er verteidigte ständig seine kommunistischen Freunde gegen seine Gegner von der Rechten und seine Freunde von der Rechten gegen seine kommunistischen Gegner und betrachtete im übrigen beide Gruppen mit Ekel, denn keine von beiden trat jemals für ihn ein, weil ihn beide für einen Narren hielten.
    Er war ein sehr ernsthafter, bemühter und gewissenhafter Narr.
    Man konnte mit ihm keinen Film besuchen, ohne hinterher in eine Diskussion über Einfühlung, Aristoteles, universale Kunst, moralische Tendenzen und die Verpflichtungen zu geraten, die dem Film als einer Kunstform unserer materialistischen Gesellschaft auferlegt sind. Die Mädchen, die er ins Theater einlud, mußten bis nach der Pause warten, um zu erfahren, ob sie ein gutes oder schlechtes Stück sahen, dann aber erfuhren sie es sogleich. Er war ein militanter Idealist, der Rassenvorurteile dadurch bekämpfte, daß er in ihrer Gegenwart ohnmächtig wurde.
    Was die Literatur anging, so wußte er darüber alles, nur nicht, wie man sie genießt.
    Yossarián versuchte, ihm zu helfen. »Sei doch kein Narr«, hatte er Clevinger geraten, als sie zusammen als Fähnriche in Santa Ana waren.
    »Ich werde es ihm sagen«, beharrte Clevinger, während sie beide hoch oben auf der Tribüne saßen und auf den behelfsmäßigen Paradeplatz hinabsahen, wo Leutnant Schittkopp sich wie ein bartloser König Lear gebärdete.
    »Warum gerade ich?« heulte Leutnant Schittkopp.
    »Halt dein Maul, Idiot«, riet Yossarián onkelhaft.
    »Du weißt ja gar nicht, wovon du redest«, widersprach Clevinger.
    »Jedenfalls weiß ich genug, um das Maul zu halten, Idiot.«
    Leutnant Schittkopp raufte sich das Haar und knirschte mit den Zähnen. Seine elastischen Bäckchen wabbelten vor Kummer. Er sah sich einer Abteilung von Luftwaffenfähnrichen gegenüber, deren Disziplin auf dem Nullpunkt war und die beim sonntäglichen Exerzierwettbewerb beklagenswert schlecht abschnitten.
    Die Disziplin war auf dem Nullpunkt, weil die Fähnriche keine Lust hatten, sonntags zu exerzieren, und weil Leutnant Schittkopp ihnen nicht erlaubte, ihre Stubenältesten selbst zu wählen, sondern diese bestimmt hatte.
    »Ich will aber, daß es mir jemand sagt«, flehte Leutnant Schittkopp die Fähnriche fast auf Knien an. »Wenn der Fehler bei mir liegt, dann will ich es wissen.«
    »Er will, daß es ihm jemand sagt«, meinte Clevinger.
    »Er will bloß, daß alle ihr Maul halten, Idiot«, erwiderte Yossarián.
    »Aber hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«
    »Ich habe es gehört«, entgegnete Yossarián. »Ich habe gehört, wie er laut und deutlich gesagt hat, wir sollen gefälligst das Maul halten, weil uns das besser bekommen wird.«
    »Ich werde keinen bestrafen«, verschwor sich Leutnant Schittkopp.
    »Er sagt, er wird mich nicht bestrafen«, sagte Clevinger.
    »Kastrieren wird er dich«, antwortete Yossarián.
    »Ich schwöre, ich werde niemanden bestrafen«, sagte Leutnant Schittkopp. »Dem Mann, der mir die Wahrheit sagt, werde ich im Gegenteil

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