CATCH - Stunden der Angst: Thriller (German Edition)
zerkratzen und verräterische rote Striemen an den Innenseiten ihrer Oberschenkel hinterlassen – nun, dann war es eben so.
Er wusste, dass sie verrückt nach ihm war, und er fand das auch vollkommen angemessen. Wenn er etwas vorsichtig war, dann lag das in der Tatsache begründet, dass sie wahrscheinlich auch sonst ein bisschen verrückt war.
Dennoch, es ließ sich nicht leugnen, dass die Natur es gut mit Robbie gemeint hatte. Er war ziemlich genau eins achtzig groß, wog sechsundsiebzig Kilo und konnte sein dunkles Haar entweder nach hinten gekämmt oder kunstvoll zerwühlt tragen – beides mit ziemlich verheerender Wirkung auf Frauen. Er hatte hellblaue Augen, hohe Wangenknochen und kleine, gleichmäßig geformte, strahlend weiße Zähne. Zusammen mit seiner Schlagfertigkeit und seinem ungezwungenen Charme ergab das ein Paket, das ihm zweifellos den Weg durchs Leben erleichterte.
Er empfand keine besondere Dankbarkeit, und er hatte auch kein schlechtes Gewissen. Wenn das Glück ihn begünstigte – warum nicht? Manche hatten eben Glück im Leben, andere nicht.
Womit wir wieder bei Dan wären, dachte er. Arme Sau – die Eltern verloren, dafür seinen kleinen Bruder und eine ältliche Tante am Bein. Ganz zu schweigen von seiner zickigen Freundin mit dem großen Mundwerk …
Das Frühstück bestand aus Kaffee und einer Handvoll Frosties – ohne Milch, da der letzte Karton leer auf der Arbeitsfläche stand. Jed hatte sie aufgebraucht und vergessen, neue zu kaufen. Der Ärger darüber brodelte in Robbie, während er die trockenen, zuckrigen Cornflakes kaute und sich die Krümel von den Händen wischte.
Er schob es auf, bis er fertig zum Gehen war – in Anzug und Krawatte, weil er gleich nach seinem Besuch bei Bree ins Büro musste. Dann klopfte er laut an die Tür des Gästeschlafzimmers.
»Was is?«, kam eine Stimme von drinnen.
Robbie packte die Klinke, zögerte einen Moment und stieß dann die Tür auf. Er wusste nie genau, was ihn erwartete, wenn er in Jeds Zimmer platzte – er kam sich vor wie der Vater eines missratenen Teenagers.
Der Anblick, der sich ihm heute bot, war mehr oder weniger durchschnittlich: jede Menge leere Dosen und Flaschen, achtlos weggeworfene Fastfood-Kartons, mehrere Kugeln aus zusammengeknüllter Alufolie sowie der untere Teil einer PET -Flasche, der noch den Rest einer trüben Flüssigkeit enthielt.
Jed Armstrong war unter einem Berg von Klamotten und zerschlissenen alten Decken begraben, die er bei seinem Einzug mitgebracht hatte und die er aus unerfindlichen Gründen Robbies Bettdecken mit sibirischen Gänsedaunen vorzog. Jeds Geordie-Akzent verriet, dass er aus der Gegend von Newcastle stammte, doch Robbie wusste weder, wie alt er war, noch kannte er seine Vorgeschichte. Er schätzte ihn auf Mitte dreißig oder vielleicht auch Anfang vierzig, aber er hätte ebenso gut ein Mittzwanziger sein können, der ein ziemlich wüstes Leben geführt hatte.
Jed war um ein paar Ecken mit einem Typen bekannt, mit dem Robbie manchmal einen trinken ging – auch eine dieser Zufallsbekanntschaften, die, wie im Fall des Aufnahmeleiters, zu einem unerwarteten und nicht unbedingt positiven Ergebnis geführt hatte. Jed hatte einen Platz zum Schlafen gebraucht, Robbie hatte reichlich Platz zur Verfügung, und wie sich herausstellte, konnte Jed für seinen Unterhalt wahlweise in bar oder in Naturalien zahlen: Kräuter, Pillen oder Pülverchen – von allem schien er einen unerschöpflichen Vorrat zu haben.
Anfangs hatte es nach einer optimalen Vereinbarung ausgesehen, doch nach vier Monaten beschlichen Robbie erste Zweifel. Es fing schon damit an, dass Jed seine Vorräte eigentlich nicht im Haus aufbewahren sollte – jedenfalls nicht in Mengen, die deutlich über den persönlichen Bedarf hinausgingen. Robbie war sich absolut nicht sicher, dass Jed sich an diese Regel hielt. Sich an Regeln zu halten war einfach nicht Jeds Ding.
»Wie spät is ’n?«, grummelte er.
»Äh, zehn vor acht.«
»Brennt’s irgendwo, Robert?«
Robbie lachte, doch es klang irgendwie falsch. »Nee, wir haben bloß keine Milch mehr im Haus, und du wolltest doch …«
»Deswegen haste mich geweckt? Mann, ey, soll ich vielleicht um vier Uhr früh an deine Tür hämmern, um dir zu sagen, dass ich mir gerade mit dem letzten Rest Klopapier den Arsch abgewischt hab?«
Jed wälzte sich herum und lugte unter der Decke hervor wie irgendeine nachtaktive Kreatur, die neugierige Blicke scheut. »Wie ich sehe, hast du dich
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