Cato 02 - Im Auftrag des Adlers
leiser und schließlich still. Nisus Kopf rollte zurück, und seine leblosen Augen über dem leicht offen stehenden Mund wurden glasig.
Einen Moment lang herrschte Stille, dann fühlte ihm der Oberwundarzt den Puls. Er spürte ihn nicht.
»Das war’s. Er ist tot.«
Cato hielt noch immer Nisus’ Hand, wobei ihm klar war, dass dies nur noch gefühlloses Fleisch war, nicht länger von einem Lebensfunken beseelt. Er empfand Zorn über seine Machtlosigkeit, das Leben dieses Mannes zu retten. Nisus hatte so viel Blut verloren; Cato hatte versucht, die Blutung zum Stillstand zu bringen, doch es war einfach immer weiter herausgeströmt.
»Wo, zum Kuckuck, war er in den letzten Tagen?«, fragte der Oberwundarzt.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Was hat er dir zum Schluss zugeflüstert?«
Cato schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Hat er denn etwas gesagt?«, bedrängte der Oberwundarzt ihn. »Hat er die rituellen Sterbeworte gesprochen? «
»Sterbeworte?«
»Er ist Karthager, genau wie ich. Was hat er denn vor seinem Tod gesagt? Er hat dir etwas zugeflüstert.«
»Ja, aber ich konnte es nicht verstehen … Etwas über einen Tag, glaube ich.«
»Dann muss ich die Worte für ihn sprechen.«
Der Oberwundarzt löste Catos Hand aus Nisus’ Griff und schob ihn sanft von der Leiche weg. »Es dauert nicht lange, aber ich muss die Worte sagen, damit er nicht auf der Erde umgeht wie eure römischen Lemuren.«
Der Gedanke, dass Nisus als ruheloser Geist die Schatten der Erde durchstreifen könnte, erfüllte Cato mit Entsetzen, und er wich vom Untersuchungstisch zurück. Der Oberwundarzt presste dem Toten die rechte Hand aufs Herz und sang leise ein uraltes punisches Totenlied. Er war schnell damit fertig und wandte sich wieder an Cato. »Willst du ihn auch mit den römischen Riten versehen?«
Cato schüttelte den Kopf.
»Willst du noch einen Moment bei ihm bleiben?«
»Ja.«
Der Oberwundarzt begleitete die Legionäre nach draußen, und Cato war mit Nisus’ Leiche allein. Er wusste nicht recht, was er empfand. Da war Kummer über den Verlust eines Freundes und Bitterkeit, dass er so nutzlos an einem römischen Speerwurf gestorben war. Außerdem war er zornig. Nisus hatte ihre Freundschaft verraten, zuerst, als er ihn zugunsten von Tribun Vitellius fallen ließ, und dann durch seine Desertion – oder worin auch immer er verwickelt gewesen war, als er aus dem Lager verschwand. Nisus’ allerletzte Worte waren für Vitellius bestimmt gewesen, und das irritierte Cato mehr als alles andere. Was auch immer der Grund seines Verschwindens gewesen war, es hatte vermutlich irgendetwas mit Vitellius zu tun. Cato sah die Leiche an, und die widersprüchlichsten Gefühle stritten sich in seinem Inneren.
»Hast du deinen Frieden geschlossen, Optio?«, fragte der Oberwundarzt, als er eine Weile später ins Zelt zurückkehrte. »Jetzt müssen wir leider im Prozedere fortfahren. Bei dieser Hitze müssen wir die Leichen so schnell wie möglich fortschaffen.«
Cato nickte und trat an den Rand des Zeltes, als der Oberwundarzt zwei Sanitäter hereinwinkte. So flink, wie nur die regelmäßige düstere Routine es ermöglichte, streckten die Pfleger die Leiche aus und entfernten alle Kleider und persönlichen Sachen.
»Du brauchst nicht hier zu bleiben und zuzuschauen, wenn du nicht möchtest«, sagte der Oberwundarzt.
»Es geht schon, Herr. Wirklich.«
»Wie du willst. Ich muss jetzt leider gehen, denn ich habe noch andere Pflichten. Es tut mir Leid, dass ich deinen Freund nicht retten konnte«, fügte der Oberwundarzt freundlich hinzu.
»Du hast dein Bestes getan, Herr.«
Die Sanitäter waren mit dem Ausziehen beschäftigt und sortierten die sauberen, nicht mit Blut befleckten Kleidungsstücke zum Wiedergebrauch aus. Der Rest kam auf einen Haufen zum Wegwerfen. Jetzt, da das Herz nicht mehr schlug, hatte die Wunde aufgehört zu bluten. Die blutverschmierte Haut wurde rasch mit einem Eimer voll Wasser sauber gewaschen. Einer der Sanitäter wickelte den Verband von Nisus’ linkem Knie. Plötzlich hielt er inne und reckte den Hals.
»Hoppla. Das ist ja komisch«, murmelte er.
»Was denn?«, gab sein Kamerad zurück, der der Leiche gerade das Schuhwerk auszog.
»Unter dem Verband ist gar nichts. Keine Wunde, nicht einmal ein Kratzer.«
»Doch, natürlich, man trägt einen Verband doch nicht einfach nur zum Spaß.«
»Nein, ich sage dir doch, dass da nichts ist. Nur diese sonderbaren Zeichen.«
Catos Neugier war stärker
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