Cato 04 - Die Brüder des Adlers
er, die Überlebenden an der Brustwehr und die wenigen Männer, die er noch in Reserve hatte, abzuzählen.
»Sie kommen zurück!«, rief ein Legionär, und Cato eilte an seinen Platz. Im verblassenden Licht waren undeutliche Gestalten zu erkennen, die in die Umfriedung eindrangen.
»Eine letzte Anstrengung, Leute!«, rief Macro laut, doch selbst seine Stimme war brüchig vor Erschöpfung.
Jeder Verteidiger packte Schild und Speer noch fester und machte sich für einen letzten Kampf bereit. Dann lachte Cato plötzlich auf – ein schriller, nervöser Laut –, nahm seinen Speer herunter und beugte sich auf die Brustwehr gestützt vor.
Durchs Tor marschierte ein kräftiger Mann im roten Umhang. Die Sonne brach sich glänzend an seinem schimmernden Helm und darüber wehte ein leuchtend roter Helmbusch. Der Mann brüllte einen Befehl und zu beiden Seiten fächerten sich die Truppen auf und schritten vorsichtig durch das Chaos in der Umfriedung auf die Königsburg zu. Als sie sich näherten, erkannte Cato mit seinen scharfen Augen den Offizier.
»Es ist Hortensius!«, rief Cato, lachend vor hysterischer Erleichterung.
Hortensius marschierte auf sie zu und schlug sich klatschend mit dem Offiziersstock in die freie Hand.
»Macro und Cato!«, rief er. »Das hätte ich mir ja denken können. Nur ihr beide konntet in einen solchen Schlamassel geraten!«
38
Nachdem Vespasian seine Kundschafter ausgeschickt hatte, um rechtzeitig vor einer eventuellen Rückkehr der Durotriges gewarnt zu sein, führte er die Entsatztruppe durch den rußgeschwärzten Rahmen des Haupttors. Der Legat suchte sofort das römische Lager auf und fand dort die verkohlten Trümmer der Hauptquartiersgebäude und die schauerlichen Überreste des Lazaretts. Die Durotriges hatten zwar die römischen Gebäude in Schutt und Asche gelegt, aber wenigstens die Vorräte zum größten Teil unangetastet gelassen. Zweifellos hatten die Feinde vorgehabt, sich damit den Bauch voll zu schlagen und anschließend so viel wie möglich mitzunehmen, doch das plötzliche Eintreffen des Legaten und seiner sechs Kohorten hatte sie so sehr in Panik versetzt, dass sie mit leeren Händen aus der atrebatischen Hauptstadt geflohen waren.
Nachdem Vespasian den Befehl zur Reparatur der Verteidigungswälle erteilt hatte, ritt er, Quintillus an seiner Seite, Hortensius’ Kohorte nach. Sobald der Legat Macro und Cato erblickte, wollte er einen vollständigen Bericht hören.
»Nein«, entschied Vespasian nach einem Blick auf die königliche Umfriedung, wo die Schatten über den Leichen der Gefallenen immer länger wurden. »Das kommt nicht in Frage. Hier ist zu viel zu tun. Wir bleiben.«
Cato wechselte einen nervösen Blick mit Macro. Der Legat würde die Gefahr doch gewiss erkennen?
»Herr, wir können nicht hier bleiben«, erklärte Cato.
»Wir können nicht hier bleiben?«, äffte Quintillus an der Seite seines Kommandanten ihn nach. »Zenturio Cato, es ist nun einmal so, dass wir es uns gar nicht leisten können, von hier aufzubrechen. Selbst dir muss die strategische Situation doch begreiflich sein? Verica wird bald sterben. Fast alle seine Krieger sind tot. Sein Königreich wird dem erstbesten Feind in die Hände fallen, der durch das Tor hereinspaziert, das ihr beide partout niederbrennen musstet. Nur Rom kann hier noch für Ordnung sorgen.«
Cato ballte die Fäuste hinter dem Rücken so fest, dass die Nägel ihm ins Fleisch schnitten. Er war erschöpft und wütend und musste trotzdem klug und schlagfertig reagieren.
»Herr, wenn wir sechs Kohorten und einen Legaten verlieren, dann gibt es keine strategische Situation mehr, sondern nur noch eine überstürzte Flucht.«
»Ach, tatsächlich!« Mit einem Lachen wandte der Tribun sich Vespasian zu. »Ich denke, dieser junge Mann hat sich in den letzten Tagen körperlich und seelisch überanstrengt, Herr. Da ist es nur natürlich, dass er eine übertriebene Furcht vor dem Feind entwickelt.«
Das war zu viel für Macro, der angriff wie ein Stier. »Angst? Cato soll Angst haben? Nicht Cato ist weggelaufen, als wir das erste Mal Dresche bezogen haben …«
Vespasian trat dazwischen, hob mahnend die Hand und erklärte eindringlich: »Das genügt, meine Herren! Ich kann nicht zulassen, dass meine Offiziere sich vor der Mannschaft streiten.«
»Dennoch«, erwiderte Quintillus mit leiserer Stimme, »nehme ich nicht hin, dass mir ein einfacher Zenturio unterstellt, ich sei ein Feigling. Schließlich bin ich losgeritten, um
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