Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
Leichtigkeit, die ich in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. Nur Fliegen kann leichter sein.
Den Rest der Reise rotierte ich mit den Gelenken: im Flugzeug, im Busch, im Boot, auf den langen Fußmärschen, in den Sanddünen Namibias. Ich bewegte mich täglich leichter. Manchmal fiel ich in den alten Trott, doch dann meldeten sich sofort das rechte Hüftgelenk und das rechte Kreuzbeingelenk, Sie wissen schon, Wohlweh, Freundschmerz, Schnellfeedback. Aufspannen, aufrichten, vom Boden weg... Ich wurde selbst bei stundenlangen Märschen in ungewohnter Umgebung nicht müde. Und es tat nichts mehr weh. Ich verstand: Bewegung ist Unterhalt für den Körper, ist seine Therapie. (Aus dem Stand 60 Zentimeter hochspringen kann ich allerdings immer noch nicht.)
Zurück in der Schweiz richtete ich die Zeit für regelmäßiges Laufen ein. Meine damalige Arbeitskollegin Birgitt ließ sich anstecken, lief dreimal pro Woche in aller Herrgottsfrühe mit. Es folgte der herausfordernde, zuweilen unangenehme Teil: Beschreiben, was vorgeht. Eine Sprache finden für die anatomischen Vorgänge, eine Sprache, die alle verstehen. Oder wenigstens die meisten. Fliehkraftlaufen, Leichtkraftlaufen, Kettenreaktion in den Gelenken herstellen. Wie nenne ich die Rückwärtsbewegung im Becken, die Vom-Boden-weg-Bewegung der Sprunggelenke, der Knie. Waren das Rotationen, angedeutete Kreise?
Dann der Test an den Kolleginnen, funktionierte das Prinzip »Kreuzgang mit Unterstützung der Schwerkraft« auch bei ihnen? Verstanden sie meine Beschreibungen? Mit welchen Übungen konnte das durch Erziehung und Nachahmung versaute natürliche Gehen wieder erlernt werden?
Birgitt, Beatrice und Andrea verstanden das Prinzip sofort. Mutierten augenblicklich von Laufmuffeln zu Gehbegeisterten. Wir führten Pilotkurse für Studiokunden durch. Und siehe da, der Mann mit der Kniearthrose lief schmerzfrei. Die Frau lief ohne Kopfschmerzen. Der Mann lief ohne Schulterbeschwerden. Die Frau lief ohne Kreuzschmerzen.
Es entstand der Baustein CANTIENICA ® – go! Ich schrieb ein Buch 7 im Internet, unter Beobachtung der künftigen Leserinnen und Leser. Vor allem Männer setzten sogleich um, was ich schrieb, und gaben mir Feedback, das ich sofort verwerten konnte.
Eine Versuchsreihe an einem Institut für Biomechanik in Zürich ergab, dass wir Leichtkraftläuferinnen in der Tat beim Auftreten nur 40 bis 50 Prozent unseres Eigengewichts auf die Ferse lasteten, also praktisch und logisch das Gewicht der Körperhälfte, die gerade landet, im Gegensatz zu 150 bis 250 Prozent beim »normalen Schwerkraftläufer«. (Gerade las ich in einem Laufbuch, die Ferse müsse beim Joggen 450 Kilogramm abpuffern! Arme Ferse!) Wer jetzt fragt, »wie kann ich denn beim Laufen die Hälfte wiegen?«: Im Momentum von Raum und Zeit, also in Bewegung mit einer gewissen Geschwindigkeit, gelten andere Gesetze. Der aufgespannte Körper in Bewegung trägt sich, geht vom Boden weg, statt in den Boden hinein, nutzt die Fliehkraft, die ja auch eine Reaktion der Schwerkraft ist.
Die perfekte Brückenkonstruktion
Unterwegs auf meinem Jungfernlauf am Hang des Ngorongoro begegnete ich Massai. Sie gingen barfuß. Die langen, schlanken Körper aufgespannt, Kopf hoch, die Füße frei, um das Gelände zu ertasten. Es sah aus, als führten die Füße ein Eigenleben, als gingen sie dem Körper voraus, und wenn da etwas den Fuß unangenehm berührte, so versetzte er sich scheinbar aus sich heraus, umging das Hindernis.
Ich verstand aus der Beobachtung, was sie anders machten als ich: Sie gaben ihr Gewicht nicht auf die Füße ab, sondern trugen es in der Schwerkraft und in der Aufrichtung, und zwar direkt über der Ferse. Ich hätte mit einem Lineal eine Linie ziehen können vom Fersenbein bis zum Kronenpunkt. Die Füße waren frei, frei für die Bewegung.
Also. Aufspannen. Leicht auf der Ferse landen, die Fußbrücke von Ferse zu Großzehengrundgelenk auf den Boden bringen, mit der vorgestellten Vom-Boden-weg-Bewegung den Fuß heben, im Becken die Seite wechseln, mit dem anderen Fuß weich und leicht mit der Ferse den Boden berühren.
Wieso ich nicht einfach abrollen sage? Weil es mit dem Abrollen ist wie mit dem Fersenstoßen: Sie nehmen es viel zu wörtlich, drücken flach, was gewölbt ist und sein soll, drücken das perfekte Zweibrückensystem Fuß flach, statt sein wunderbar leichtes Angebot zu nutzen.
Also. Landen auf der Ferse, zum Großzehengrundgelenk übersetzen,
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