Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
seien. Tamara kann sich keine 30 Sekunden auf dem Stuhl aufrecht halten. Füße ausrichten, Wirbelsäule aufspannen, ich möchte die Aufrichtung des Beckens mit meinen Händen unterstützen, da fällt der Oberkörper schon wieder in sich zusammen. Aufrichten, Kronenpunkt dehnen, Tiefenmuskulatur wecken, Schultern ausrichten, »ja«, sagt Tamara, »die Schmerzen werden weniger«. Bis sie den Satz fertig gesprochen hat, ist sie schon wieder in sich zusammengefallen. Jetzt seien die Schmerzen wieder da.
Ich arbeite mit allen Tricks, mit Therabändern, die ich zum Korsett schnüre, stecke Ballone unter das T-Shirt, Tamara spürt nicht, ob sie eingesunken ist oder aufgerichtet. Ob ihr Rücken rund ist oder gerade. Ob das Becken vorgeschoben oder ausgerichtet ist. Sie kann den Unterschied noch nicht einmal im Spiegel sehen.
»Haben Sie schönheitschirurgische Operationen unternommen?«, frage ich Tamara, denn ich bin inzwischen sicher, dass ihr Bauplan manipuliert ist. Sie findet erst, das gehe mich nichts an. Ich erkläre ihr, dass wir eine Art Vertrag haben. Sie möchte die Catpower spüren. Ich möchte ihr die Catpower zeigen. Der Körper reagiert, der Kopf spürt es nicht, das gibt es nur, wenn Muskeln und Nerven symmetrisch, also auf beiden Körperseiten, gestört oder zerstört sind, und das kommt praktisch nur bei Schönheitsoperationen vor.
Nun ist Tamara verstört. Ja, sie habe vor neun Jahren den Busen operieren lassen, durch die Achselhöhle. Das Resultat sei nicht schön gewesen. Tamara weint. Die zweite Operation sei durch die Brustwarzen erfolgt, Resultat auch nicht so, wie sie es wollte. Bei der dritten Operation nun seien die Implantate durch den Bauchnabel ersetzt worden, eine vierte Operation werde demnächst stattfinden. Ich versuche zu klären, wann die Migräne und die Kreuzschmerzen angefangen haben. Nach der zweiten Operation, kann Tamara klar antworten. Der Arzt meinte, da bestehe kein Zusammenhang.
Ich erkläre Tamara, dass Operationen durch die Achselhöhlen und durch den Bauchnabel ein viel größeres Wundund Narbenareal verursachen, sehr viel mehr Nerven, Muskeln, Faszien, Bindegewebe verletzen oder zerstören als ein einfacher Schnitt. Solche Operationen greifen tief in den Körperbauplan ein und verändern ihn für immer. Sie braucht einen eisernen Willen, Achtsamkeit und Disziplin, um den Körper zurückzuerobern und wieder schmerzfrei zu werden. Ich zeige Tamara mit meinen Demonstrationstafeln, welche Muskeln und Nerven in Mitleidenschaft gezogen wurden und wie sie durch bewusste Kompensation ihren Körper wieder spüren lernen kann. Sie sei tatsächlich am Bauch taub, spüre praktisch nichts. Der Arzt habe gesagt, das Gefühl komme zurück, doch sei innerhalb der drei Jahre seit der Operation nichts besser geworden.
Sie fragt mich, ob der Körper durch die Operation verstümmelt worden sei. Ich kann und will die Frage nicht beantworten. Denn Schuldgefühle bringen sie nicht weiter. Wenn ich mir anmaßen möchte, jemandem Vorwürfe zu machen, dann den Schönheitschirurgen, die erstens selber die Tragweite ihrer Eingriffe nicht abschätzen oder nicht abschätzen können, und zweitens die Klientinnen und Klienten oft nicht ausreichend aufklären. Ich kenne zwei Schönheitschirurgen, eine Frau und einen Mann, die beide ihren Kundinnen empfehlen, vor der Operation konsequent zu trainieren, damit sie nach dem Eingriff sofort wieder die Muskeln benutzen können und so den Schaden an den Nerven möglichst klein halten.
Tamara geht so unglücklich aus meinem Studio, wie sie gekommen war. Zwar weiß sie, dass es eine Haltung gibt, in der sie keine Schmerzen hat, doch versteht ihr Körper nicht mehr, wie er diese Haltung selber jederzeit einnehmen und beibehalten kann.
Noch dramatischer ist die Geschichte von Marlene 12 . Sie hat mit CANTIENICA ® – Faceforming angefangen und will nun am Telefon von mir wissen, weshalb sie unvorstellbare Kopfschmerzen kriegt, wenn sie nur den Kopf exakt ausrichtet und mit den Muskeln am Hinterkopf arbeitet. Sie beschreibt regelrechte Krampfanfälle, die sich von der Schädelbasis zu den Schultern ziehen. Mir ist sofort klar, dass die Muskulatur am Brustkorb, zwischen den Rippen und um die Schlüsselbeine extrem verkürzt sein muss.
»Wie alt sind Sie, Marlene?«
»34, Fitnessinstruktorin, Pilates- und Yogalehrerin.«
»Hatten Sie eine Busenoperation?«
Marlene schnaubt erst, beginnt dann heftig zu schluchzen. Ja, sie habe vor zwölf Jahren nach der Geburt
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