Cedars Hollow (German Edition)
einfach im Haus zu bleiben. Was war wohl pa s siert, das Baltazar einen solchen Schrecken hatte einjagen können? Baltazar, der auf mich unnahbar und noch rätselhafter als Raphael wirkte? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was ihn aus der Fa s sung hatte bringen können.
Als ich unten auf der Straße ankam, hatte Corvus sich bereits über eine zierliche Gestalt gebeugt, die reglos auf dem harten Asphalt lag. Damon, Raphael und Baltazar knieten neben ihm. Ich trat einen Schritt näher und erkannte einen Jungen mit kastanienbraunen Haaren, leeren Augen und blutleerem Gesicht. Corvus hob den Jungen auf; seine Mundwinkel wirkten verbissen, als er sich mit dem schlaffen Körper in den Armen erhob.
Ich starrte erschrocken auf die Szene, unfähig, etwas zu sagen oder mich zu rühren. Corvus befreite eine seiner Hände und drückte sie gegen den Hals des Jungen, und erst jetzt sah ich, dass ein Rinnsal von Blut dessen Hemd durchtränkt hatte. Er lag starr da wie ein T o ter; ich realisierte schockiert, dass er nicht älter als vierzehn sein konnte.
„Er liegt im Sterben“, sagte Damon. Er besah sich den Jungen mit mitleidigem Blicken, als erinnerte er ihn an sein eigenes Schicksal und seine Vergangenheit. „Was sollen wir tun?“
„Er braucht einen Arzt.“ Corvus wirkte unnatürlich ruhig und u n terkühlt, und in seiner Stimme lag ein Anflug von unterdrücktem Zorn. „Ich bringe ihn ins Kranke n haus.“
„Das kannst du nicht machen!“, sagte Baltazar. „Was, wenn sie Verdacht schöpfen? Was willst du ihnen denn erzählen? Dass du ihn zufällig auf der Straße gefunden hast?“
„Genau das. Es ist schließlich die Wahrheit.“ Corvus’ Miene wirkte eisig und unnachgiebig.
Baltazar schnaubte. „Das werden sie dir nicht abnehmen. Sie werden dich verdächtigen, und du wirst uns alle in diese Sache mit reinziehen.“
Corvus schüttelte den Kopf, schien seine Entscheidung aber noch einmal zu überdenken. Ich konnte mir vorstellen, was in ihm vorging. Er musste sich nun entscheiden, ob er das Risiko eingehen wollte, seine Gruppe zu verraten, oder ob er sich einmal mehr schuldig machen und die Verantwortung für den Tod eines Menschen auf sich nehmen wollte. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ihm etwas Ähnliches durch den Kopf ging. Zu gerne hätte ich ihm gesagt, dass er nicht verantwortlich war für das, was mit dem Jungen geschehen war, aber wahrscheinlich hätte ich ihm seine Schuldgefühle nicht nehmen können. Mir war klar, dass er die Schuld, die er früher mit dem Tod zweier Menschen auf sich geladen hatte, wiedergutmachen wollte.
„Es gibt keine and e re Möglic h keit“, sagte Corvus schließlich und bestätigte damit meine Vermutung. Sein Kampf mit sich selbst zeigte sich in seinen Zügen und verlieh ihnen etwas Wütendes, Kompr o missloses.
„Sie werden dir nicht glauben“, sagte Baltazar erneut und schüttelte den Kopf. Raphael und Damon hingegen schwiegen und starrten wie ich auf die Szene. Was ging in ihnen vor? Dachten sie genau wie Baltazar, dass der Junge unrettbar verloren war, oder bedeutete ihr Schweigen, dass sie Corvus insgeheim zustimmten?
Corvus zuckte mit den Schultern, und ich wusste, dass er seine Entscheidung getroffen hatte und nicht auf Baltazar hören würde, obwohl ihn vielleicht der Gedanke quälte, das Risiko, entdeckt zu werden, eingehen zu müssen. Er umklammerte den Jungen noch ein bisschen fester, dann eilte er davon und war innerhalb kürzester Zeit in der Dunkelheit verschwunden.
Wir anderen gingen zurück ins Haus und in die Küche. Raphael und Damon tauschten ständig vielsagende Blicke aus, während Baltazar ununte r brochen und mit gereizter Miene im Zimmer auf und ab ging. Wieso war er bloß so wütend? Hätte er den Jungen wirklich sterben lassen, oder versteckte er sein wahres Ich bloß hinter einer Maske aus Able h nung?
Mein Hals fühlte sich so trocken an, dass ich meinte, nicht so schnell wieder sprechen zu können. Als ich es versuchte, war meine Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Baltazar hat den Jungen draußen auf der Straße gefunden“, b e gann Raphael zögerlich. „Mit blutverschmierter Kehle.“
Unmittelbar dachte ich an meine Mom und den Zeitungsartikel. „Die beiden Toten …“, flüsterte ich.
Baltazar ahnte offenbar, was mir durch den Kopf ging. „Es wäre besser, wenn du dich nicht in diese Sache einmischen würdest, H a zel“, sagte er kühl. „Für
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