Celaenas Geschichte 03 - Throne of Glass
Kanal ab.
Es gab bestimmt eine Leiter, aber wahrscheinlich weiter vorn. Das hieß, sie musste sich dem Wasser aussetzen – und der Dunkelheit.
Links von ihr stieg das Wasser unablässig, rauschte aus der anderen Hälfte der Stadt herein. Sie sah nach rechts. Selbst wenn es keine Leiter zu einem Gullydeckel gab, schaffte sie es vielleicht bis zum Avery.
Es war ein sehr, sehr großes »Vielleicht«.
Aber das war immer noch besser, als hier tatenlos auf den Tod zu warten.
Celaena ließ ihre Klingen zurückschnappen und stieg in das stinkende, ölige Wasser. Ihr Hals schnürte sich zu, sie musste all ihre Willenskraft aufbringen, um sich nicht zu übergeben. Sie schwamm nicht durch den Unrat der gesamten Hauptstadt. Sie schwamm nicht durch rattenverseuchtes Wasser. Sie würde nicht sterben .
Die Strömung war stärker, als sie gedacht hatte, und sie kämpfte dagegen an. Über ihrem Kopf zogen Gullydeckel vorbei, immer näher, aber immer noch zu weit weg. Und dann da, rechts von ihr!Auf halber Höhe, noch ein ganzes Stück über dem Wasserspiegel, öffnete sich ein schmaler Tunnel, der für einen einzelnen Arbeiter gedacht war. An der Einmündung lief Regenwasser heraus – irgendwo musste er zur Straße führen.
Sie hielt direkt auf den Tunnel zu, tat alles, um von der Strömung nicht vorbeigetrieben zu werden. Als sie an die Wand prallte, hielt sie sich daran fest, indem sie sich zur einen Seite sacken ließ, und hechtete mit ausgestrecktem Arm nach oben. Sie bekam ein Stück der Mauer zu fassen. Die raue Kante schnitt ihr in die Finger, als sie sich festkrallte, aber sie ließ nicht los und obwohl Schmerz durch ihre Nägel zuckte, zog sie sich zu der schmalen Öffnung hoch.
Hier war es so eng, dass sie flach auf dem Bauch liegen musste, und alles war voller Dreck und undefinierbarem Schlamm, aber irgendwo weit vor ihr fiel Straßenlicht herein: ein Schacht, der zur Straße führte. Hinter ihr stieg die Flut immer höher, das Rauschen des Wassers war geradezu ohrenbetäubend. Wenn sie sich nicht beeilte, saß sie in der Falle.
Die niedrige Decke zwang sie, den Kopf gesenkt zu halten, das Gesicht fast im fauligen Schlamm, während sie die Arme aussteckte und sich vorwärtszog. Zentimeter um Zentimeter zog sie sich durch den leicht ansteigenden Tunnel, den Blick auf das Licht vor sich gerichtet.
Dann erreichte das Wasser die Höhe ihres Abzweigs. Innerhalb von Sekunden schwappte es ihr an die Füße, an die Beine, dann an den Bauch und schließlich ans Gesicht. Sie kroch schneller, merkte auch ohne Licht, dass ihre Hände bluteten. Das kleinste Körnchen in den Schürfwunden brannte wie Feuer. Weiter , sagte sie sich bei jedem Schieben und Ziehen ihrer Arme, jedem Abstoßen ihrer Füße. Weiter, weiter, weiter . Dieses Wort war das Einzige, was sie davon abhielt zu schreien. Denn wenn sie erst einmal anfing zu schreien … hätte sie vor dem Tod kapituliert.
Das Wasser stand schon mehrere Zentimeter hoch, als sie den senkrechten Schacht erreichte, und beim Anblick der Leiter hätte sie beinahe geschluchzt. Es waren etwa fünf Meter bis nach oben. Über den runden Löchern in dem großen Gullydeckel konnte sie eine Straßenlaterne schweben sehen. Ohne sich um die Schmerzen an ihren Händen zu kümmern, kletterte sie die verrostete Leiter hinauf und betete nur, dass sie nicht brach. Mittlerweile hatte das Wasser den Fuß des Schachts erreicht und wirbelte die Abfälle unter ihr im Kreis herum.
Kurz darauf war sie oben und genehmigte sich sogar ein kleines Lächeln, während sie gegen den runden Gullydeckel drückte.
Aber er rührte sich nicht.
Sie balancierte ihre Füße auf der wackeligen Leiter aus und drückte mit beiden Händen. Er rührte sich immer noch nicht. Sie kletterte auf die alleroberste Sprosse und knickte den Oberkörper ab, sodass Rücken und Schultern am Deckel auflagen, und drückte mit aller Kraft. Nichts, kein Laut, nicht das leiseste Knirschen von nachgebendem Metall. Er musste komplett zugerostet sein. Sie hämmerte dagegen, bis es in ihrer Hand knackte. Vor Schmerzen sah sie Sternchen, schwarze und weiße Funken, die vor ihren Augen tanzten, und sie vergewisserte sich, dass der Knochen nicht gebrochen war, bevor sie weiterhämmerte. Nichts. Nichts .
Das Wasser war jetzt nah, der schmutzige Schaum so dicht unter ihr, dass sie ihn berühren konnte, wenn sie den Arm ausstreckte.
Sie warf sich ein letztes Mal gegen den Deckel. Er rührte sich nicht.
Wenn die Leute nicht auf die Straße
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