Cevdet und seine Soehne
Galatasaray-Gymnasium, beherrschte
er die Sprache herzlich schlecht. »Weil ich eben gleich so ins Geschäft
eingebunden wurde!« Nach dem Schulabschluss hatte er sofort bei seinem Vater zu
arbeiten angefangen. »Ich habe das Kaufmännische von der Pike auf gelernt!«
Dabei fiel ihm wieder der Händler aus Kayseri ein. Von der Pike auf habe er vor
allem die Schürzenjägerei gelernt, hatte dieser gesagt und Osman kaum verhüllt
suggeriert, sie könnten doch einmal gemeinsam auf »Weiberschau« gehen. Osman
hatte dieses Ansinnen natürlich kühl zurückgewiesen. Während er sich das
Gesicht abtrocknete, musste er trotzdem über das Wort »Weiberschau« schmunzeln.
Dann verließ er das Badezimmer. »Keriman!« murmelte er. Schon wollte er in
Gedanken ganz zu seiner Geliebten abschweifen, mit der er sich einmal in der Woche traf, aber dann hielt
er sich zurück. Gereinigt, wie er war, verspürte er auf Händen und Gesicht eine
angenehme Frische. Er ging in sein Schlafzimmer, wo durch die geöffnete
Balkontür Lindenduft hereinwehte. Gestärkt trat er auf den Balkon hinaus und
lehnte sich an die Brüstung.
Er hörte die Frauen unten im Garten
plaudern. In der Ferne, über Bäumen und Dachziegeln, flogen Schwalben dahin.
Auf einer Zypresse saß ein Schwarzer Milan. Es war Ende Mai. Osman genoss
diesen schönsten Moment des Tages. Am Horizont sah er zwei rotgefärbte Wolken.
Die Sonne, die den ganzen Tag auf den Garten herniedergebrannt hatte, würde
bald hinter den Apartmenthäusern von Harbiye untergehen, doch die Gäste machten
noch keine Anstalten zu gehen. Osman konnte sie von dort oben belauschen.
Eine dünne, sanfte Stimme sagte:
»Diesen Winter habe ich vier Öfen heizen lassen! Je älter man wird, um so mehr
friert man …« Das war Dildade.
Eine junge, fröhliche Stimme
schwärmte vom Komfort zentralbeheizter Wohnungen. Sie gehörte zu Fuats Frau
Leyla.
Nigân sagte seufzend: »Also, an ein
Leben in einer Wohnung könnte ich mich ja nicht gewöhnen!«, als ob jemand
versuchte hätte, sie dazu zu nötigen.
Dann ergriff Nermin das Wort und
berichtete von den Vorbereitungen auf den Sommer und von dem lecken Dach auf
Heybeliada. Osman rückte ein wenig zur Seite, um sie zwischen den Bäumen sehen
zu können. Dabei sah er auch Perihan, die auf ihn immer noch kindlich wirkte.
Sie beteiligte sich nicht am Gespräch und spielte nur mit ihrer Teetasse herum.
Osman beschloss, seinen Tee nicht dort unten mit den Frauen, sondern in seinem
Arbeitszimmer zu trinken und dabei die Briefe und Zeitungen zu lesen, aber er
rührte sich nicht von der Stelle. Er horchte weiter auf die Frauen und fühlte sich
wohl dabei.
Fünf Hausfrauen saßen da unten. Der
Reihe nach ging er sie in Gedanken durch, seine Mutter, seine Frau, Perihan,
die beiden Gäste, und ihn durchströmte dabei ein Gefühl der Geborgenkeit, der
häuslichen Wonne und Heiterheit. An Ayşe dagegen dachte er missmutig, an
seine kleine Tochter wiederum voller Zärtlichkeit. »Ach, Keriman!« murmelte er wieder, und
diesmal ließ sich der Gedanke an sie nicht verdrängen. Noch bevor Refık
das Haus verlassen hatte, am Vorabend des Opferfestes, war Nermin ihm auf die
Schliche gekommen und hatte ihm eine Szene gemacht. Osman hatte daraufhin
geschworen, sich nie wieder mit Keriman zu treffen, und seine Frau hatte ihm
geglaubt. Er sah nun zu Nermin hinab, die gerade Dildade etwas erzählte. »Wie
konnte sie meinem Schwur so leicht glauben?« Aber er hatte ja die Antwort schon
parat. »Weil ich sie vorher noch nie belogen hatte!« Er trommelte mit den
Fingern auf der hölzernen Brüstung. »Und wenn sie mir nun nicht geglaubt hätte?
Oder wenn sie herauskriegt, dass ich immer noch zu Keriman gehe? Aber das
kriegt sie nicht heraus, denn trotz ihres Selbstbewusstseins ist sie eigentlich
eine schwache Frau!« In einer Mischung aus Stolz und Zerknirschtheit dachte er:
»Mein Vater hätte es sofort gemerkt. Solange er noch lebte, hätte ich so etwas
auch gar nicht gewagt. Er war eben sehr …« Da merkte er, wie ihm von unten
zugerufen wurde.
»Warum kommst du denn nicht
herunter? Komm doch!« rief seine Mutter.
Osman winkte flüchtig zu den Frauen
hinab, die wie Tauben ihre Köpfe hin und her ruckten, um ihn durch die Zweige
und Blätter hindurch sehen zu können. In Richtung von Leyla, deren Stimme er
gerade hörte, rief er: »Ich bin gerade erst gekommen! Schön, dass Sie da sind!
Ich habe noch ein bisschen zu tun, dann komme ich runter!«
Er sagte sich, dass die
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