Chalions Fluch
erkennen.«
Ferda blickte bestürzt, zog dann aber die Schnüre seine Kapuze fester und lehnte sich in den Wind. Tatsächlich brachen sie einige Minuten später aus dem Schneeschauer aus, und die Sicht klärte sich. Das Hochtal erstreckte sich vor ihnen. Streifen bleichen Sonnenlichts stachen durch die silbergrauen Wolken und zeichneten Lichtflecke auf die langen Steilhänge – die weit nach unten abfielen.
Cazaril streckte den Finger aus und rief ermutigend: »Ibra!«
Während des langen Abstiegs zur Küste wurde das Wetter allmählich erträglicher, auch wenn sich die ächzenden Maultiere um keinen Deut schneller bewegten. Die zerklüfteten Grenzgebirge wichen weniger beängstigenden Hügeln, die braun und bucklig waren und zwischen denen sich breite Täler wanden.
Als sie den Schnee hinter sich ließen, erlaubte Cazaril widerstrebend, dass Ferda ihre Maultiere gegen schnellere Pferde eintauschte. Immer bessere Straßen und zunehmend zivilisiertere Gasthäuser brachten sie nach nur zwei weiteren Tagen zu dem Flusslauf, der hinunter nach Zagosur führte. Sie ritten an abgelegenen Gehöften vorbei und über Brücken über Bewässerungskanäle, die von den winterlichen Regenfällen angeschwollen waren.
Schließlich verließen sie das Flusstal, und die Stadt erschien vor ihnen: ein wildes Durcheinander weiß getünchter Häuser, deren Dächer mit dem unverwechselbaren grünen Schiefer der Region gedeckt waren. Oben ragte die Festung auf, unten lag der Hafen. Dahinter erstreckte sich das Meer, stahlgrau, mit einem endlosen, gleichförmigen Horizont, der in schimmerndes Licht getaucht war. Der faulige Geruch nach Salz und See, der mit der Ebbe kam, wurde von einer kalten Brise landeinwärts getragen und ließ Cazaril schaudern. Foix hingegen atmete tief durch. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, als er zum ersten Mal das Meer sah und in den Eindrücken schwelgte.
Pallis Brief und der Rang der Dy-Gura-Brüder verschafften ihnen eine Unterkunft im Hause der Tochter an Zagosurs zentralem Tempelplatz. Cazaril schickte die Jungs aus, um sich die formelle Kleidung ihres Ritterordens zu kaufen, zu erbetteln oder auszuleihen. Er selbst machte sich auf zu einem Schneider.
Die Ankündigung, dass der Schneider den Preis nach Belieben festsetzen könne, solange er nur rasch arbeitete, löste im Schneiderladen hektische Aktivität aus und bewirkte, dass Cazaril den Laden kaum mehr als eine Stunde später mit einem schmucken Exemplar der höfischen Trauerkleidung Chalions unter dem Arm verließ.
Cazaril wusch sich kurz, aber gründlich mit einem Schwamm und kaltem Wasser. Dann schlüpfte er rasch in eine Tunika aus schwerem, lavendelfarbenem und grauem Brokat, Hosen aus dicker Wolle in dunklem Purpurrot sowie in seine geputzten Stiefel. Er rückte den Schwertgurt und das Schwert zurecht, das Ser dy Ferrej ihm vor langer Zeit geliehen hatte; beides sah abgetragen aus, aber dadurch umso ehrwürdiger. Schließlich streift er einen schwarzen Mantels aus Samt und Seide über. Einer von Iselles verbliebenen Ringen, ein rechteckig geschliffener Amethyst, passte gerade eben über Cazarils kleinen Finger. Der einsame Goldschmuck deutete eher Zurückhaltung als Armut an. Angesichts der höfischen Trauerkleidung und der grauen Strähnen in seinem Bart wirkte Cazaril gesetzt und würdevoll. Er packte seine kostbaren diplomatischen Schreiben zusammen und klemmte sie sich unter den Arm; dann versammelte er seine Begleiter, die sich inzwischen in einem schmucken Blau und Weiß ausstaffiert hatten. Ihnen voran schritt Cazaril die engen, gewundenen Gassen den Hügel hinauf zum Bau des Großen Fuchses.
Cazarils Aussehen und seine Haltung brachten ihn bis zum Majordomus des Königs von Ibra. Indem er diesem Würdenträger seine Briefe und Siegel zeigte, gelangte er rasch bis zum Privatschreiber des Herrschers, der sie in einem kahlen Vorzimmer empfing. Der Raum war kühl wegen des ständig feuchten Winterklimas von Zagosur.
Der Schreiber war ein hagerer Mann mittleren Alters. Cazaril bedachte ihn mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Ich bin Kastellan dy Cazaril. Ich komme aus Cardegoss, in einer diplomatischen Mission von einiger Dringlichkeit. Ich führe Schreiben von Prinzessin Iselle dy Chalion an den König und an Prinz Bergon dy Ibra mit mir.« Er zeigte die Siegel der Briefe vor, zog sie dann aber wieder zurück, als der Schreiber danach griff. »Ich habe sie aus den Händen der Prinzessin persönlich. Sie wünscht, dass ich
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