Champagner und Stilettos
kleiner blonder Typ stand mit dem Rücken zu ihr und einem Mikro in der Hand vor drei Jungs im schwarzen Anzug, von denen keiner älter als fünfzehn aussah. Sie zermarterte sich das Hirn, wie das Trio hieß, und als es ihr endlich einfiel – es waren die Jonas Brothers –, fühlte sie sich mit einem Mal uralt. Sie fand sie irgendwie schon schnuckelig, so der Typ Koalabär, aber sexy? Verführerisch? Imstande, mit einem simplen Lächeln Millionen kleiner Mädchen an den Rand der Bewusstlosigkeit zu bringen? Lächerlich. Diese kreischenden Präpubertierenden sollten sich mal die alten Fotos von Kirk Cameron und Ricky Schroeder in der Tiger Beat ansehen, wenn sie wissen wollten, was ein echter Teenie-Schwarm war. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Wie kam sie jetzt bloß auf so was?
»Julian Alter? Haben Sie einen Augenblick Zeit für uns?« Der kleine Blonde hatte sich endlich von den Jonas-Zwergen verabschiedet und wandte sich Brooke und Julian zu. Es war Seacrest! Genauso knackebraun wie bei jeder Ausstrahlung von American Idol , dazu ein warmes, herzliches Lächeln. Brooke hätte ihn küssen mögen.
»Hey«, sagte Julian, dem es offenbar im selben Augenblick dämmerte, wen er da vor sich hatte. »Äh, klar. Mit Vergnügen.«
Seacrest winkte dem Kameramann hinter sich und bezog etwas links von Brooke und Julian Position. Auf sein Nicken schaltete der Kameramann eine knallhelle, knallheiße Leuchte an, und Seacrest, den Blick auf die Kamera gerichtet, sprach in sein Mikrofon.
»Und nun habe ich hier Julian Alter und seine wunderschöne Frau Brooke.« Er wies mit der freien Hand schwungvoll auf die beiden. »Danke, dass Sie sich einen Moment Zeit nehmen, um Hallo zu sagen. Ich muss sagen, Sie sehen heute Abend wirklich super aus.«
Die zwei pappten sich automatisch ein Lächeln ins Gesicht. Bei dem Gedanken, dass Millionen von Menschen im ganzen Land und womöglich auf der ganzen Welt das hier und jetzt sahen, überfiel Brooke sekundenlang Panik.
»Danke, Ryan«, sagte Julian – zum Glück war ihm Seacrests Vorname eingefallen. »Wir freuen uns riesig, dass wir heute hier sein dürfen.«
»Also, Julian. Ihr allererstes Album erreicht nach weniger als acht Wochen Platinstatus. Bis heute« – er warf einen Blick auf einen Zettel, den er in der Hand hielt – »haben sich weltweit vier Millionen Exemplare davon verkauft. Nun treten Sie bei den Grammys auf. Was geht Ihnen da so durch den Kopf?«
Lächelnd hielt er Julian das Mikro unter die Nase. Julian erwiderte das Lächeln – so cool hatte Brooke ihn noch nie erlebt – und sagte: »Tja, also, Ryan, ich muss sagen, das ist alles einfach so unglaublich schnell gegangen. Die Reaktion auf das Album hat mich total umgehauen, und jetzt das hier. Was für eine Ehre. Wirklich, eine grandiose Ehre.«
Seacrest wirkte angetan und belohnte sie mit einem weiteren Lächeln und einem aufmerksamen Nicken. »Julian, in Ihrer Musik geht es häufig um Liebe. Selbst ›For the Lost‹ , das ja auf den ersten Blick eine Verneigung vor Ihrem verstorbenen Bruder zu sein scheint, handelt in Wahrheit von der erlösenden Kraft der Liebe. Was inspiriert Sie?«
Eine absolute Steilvorlage. Brooke hielt den Blick stur auf Julian geheftet und hoffte, überzeugend als liebende, treusorgende Ehefrau rüberzukommen, die ihm an den Lippen hing, und nicht als das vom Donner gerührte Nervenbündel, das sie im Augenblick war.
Julian nahm den Ball an und verwandelte ihn mit Leichtigkeit. »Ach, wissen Sie, Mr. Sea-… Ryan, es ist seltsam. Ganz zu Anfang waren meine Songs eher düster und schwer. Ich machte damals privat eine Menge durch, und ich denke, die Musik spiegelt natürlich immer das, womit der Künstler sich gerade herumschlägt. Aber jetzt?« Er sah Brooke in die Augen. »Jetzt sieht die Sache völlig anders aus. Dank meiner wunderbaren Frau geht es mir als Mensch und als Musiker unendlich viel besser. Sie inspiriert mich nicht nur – sie motiviert mich, sie beeinflusst mich, sie ist … alles für mich.«
Trotz des Hickhacks vorhin im Hotel, trotz der Kündigung und der Sache mit den grässlichen Bildern, trotz des Stimmchens in ihrem Hinterkopf, das leise fragte, ob er nicht nur für das Publikum Süßholz raspelte, war Brooke mit einem Mal von Liebe erfüllt. In diesem Augenblick – vor den Kameras, in völlig überkandidelten Klamotten, von allen Seiten fotografiert, zitiert und gefeiert – empfand sie Julian gegenüber exakt das Gleiche wie damals,
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