CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
mit sich und Hannah wagte nicht zu atmen. Nach langen Minuten schien er zu einem
Entschluss gekommen zu sein.
»Okay, Hannah, aber nur
unter gewissen Bedingungen. Eure Regierung überwacht auch die private Internet-
und Telefonkommunikation. Und ich will nicht, dass du durch mich in Gefahr
kommst. Darum werden wir niemals miteinander telefonieren, hast du das
verstanden?« Eindringlich sah er sie an und Hannah nickte vorsichtig.
»Gut. Wir werden hier
am Zaun Nachrichten hinterlegen. Wenn wir uns treffen, muss es am Abend sein.
Dann ist das Risiko, dass sie uns entdecken, geringer.«
»Das ist kein Problem«,
antwortet sie schnell, bevor er es sich noch mal anders überlegte. »Meine Eltern
sind beide Ärzte und haben oft Nachtschicht.«
Ringsum herrschte tiefe
Stille, die nur von den plätschernden Regentropfen durchbrochen wurde, die sie
durchnässten und an ihrer Haut abperlten. Ein paar endlose Sekunden lang rührten
sich beide nicht. Schweigend betrachtet er sie und Hannah spürte, wie ihr Herz
schneller schlug. Und dann überraschte er sie mit einer leisen Antwort.
»Wenn du meine Welt
wirklich kennenlernen willst, dann treffen wir uns morgen Abend wieder hier. Ist
neun Uhr okay für dich?«
Sie konnte nur stumm
nicken und hoffte, dass ihre freudig strahlenden Augen ihn nicht verschreckten.
»Also, dann bis
morgen.« Damit drehte er sich um und lief mit geschmeidigen Bewegungen durch den
strömenden Regen in die Dunkelheit.
Die
Prophezeiung
H annah hatte in der
vergangenen Nacht vor Aufregung kaum geschlafen. Trotzdem verspürte sie keine
Müdigkeit, als sie jetzt, eine halbe Stunde vor ihrem verabredeten Zeitpunkt, am
Grenzzaun wartete. Immer wieder sah sie über ihre Schulter, aus Angst die
Schulkameraden könnten sie entdecken. Doch sie musste nicht lange warten, denn
kurz darauf sah sie seine mittlerweile schon so vertraute Gestalt zwischen den
Olivenbäumen auftauchen. Als Hakim den Kopf hob, begegneten sich ihre Blicke und
Hannah sah die Lachfältchen, die sich um seinen Mund bildeten. Je näher er kam,
umso mehr verstärkte sich das Kribbeln in ihrem Bauch.
»Schalom, Hannah. Hast
du noch immer Lust, dass ich dir meine Welt zeige?«
»Ja, keine Chance, es
mir auszureden«, bestätigte sie ihm lächelnd.
»Na, dann komm.«
Fürsorglich half er ihr, durch das Loch im Zaun zu klettern. Danach holte er
etwas aus seiner Umhängetasche.
»Was hast du da«,
fragte Hannah neugierig.
Er druckste ein wenig
herum, dann entschied er sich, von Anfang an aufrichtig zu sein. »Das hat mir
meine Schwester mitgegeben, damit wir – beziehungsweise damit du nicht so
auffällst.
»Oh, das ist schon
okay«, murmelte sie und strich dabei andächtig mit den Fingern über die
smaragdgrüne Seide. »Deine Schwester weiß von uns?« »Ja. Wir haben nie
Geheimnisse voreinander. Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht, das zu tragen.«
Mit einem Mal sah Hannah eine Unsicherheit auf seinem Gesicht, die sie tief
berührte. »Hakim! Warum sollte es mir etwas ausmachen, mich deinen Traditionen
anzupassen«, entgegnete sie schlicht. »Du musst mir nur zeigen, wie man es
richtig trägt.«
Nur zögernd trat er auf
sie zu, doch dann glitt ein atemberaubendes Lächeln über sein Gesicht.
Vorsichtig legte er ihr die leise raschelnde Seide des Hidschab auf den Kopf.
Das eine Schalende reichte ihr bis zur Taille, das kürzere umschmeichelte ihren
Hals. Geschickt schob er ihr den Schal ein wenig in ihre Stirn, ergriff das
kurze Ende und machte eine kleine Falte. Er war ihr so nah, dass sie seinen nach
Minze duftenden Atem auf ihrem Gesicht spürte und seine sehnigen Muskeln durch
sein Hemd wahrnahm.
Sie sah hoch und
bemerkte, dass er ihren Blick auffing. In der atemlosen Stille hörte sie das
Dröhnen ihres eigenen Herzens in den Ohren. Hakim stieß einen tiefen Atemzug
aus. Sanft nahm er das andere Ende, faltete es geschickt nach innen und band das
Tuch über ihrem Kopf zur anderen Seite. Zum Schluss strich er ihr mit leicht
zitternden Fingern eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn.
»Du siehst wunderschön
damit aus – obwohl ich dich ohne Kopftuch noch viel faszinierender finde.« Ehe
sie noch in der Lage war, sein Kompliment zu verdauen, fasste er schon nach
ihrer Hand und ging mit ausladenden Schritten durch das Dünengras. Als sie den
Rand der Plantage erreichten, ließ Hakim mit einem entschuldigenden Blick ihre
Hand los. »Du weißt,
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