CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
Krieges.
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Nach einer ganzen
Weile, Hannah hatte mittlerweile jedes Gefühl für die Zeit verloren, richtete
Hakim sich auf und lauschte. Der Beschuss schien aufgehört zu haben. Stattdessen
erklangen aufgeregte Schreie und Wehklagen. »Komm, Hannah, du musst nach Hause
gehen.«
»Nein …« Verstört sah
sie ihn an. »Ich will bei dir bleiben.« Hakim zog sie an sich und drückte einen
Kuss auf ihr Haar. »Habibti, ich möchte auch bei dir bleiben. Aber hier wird in
wenigen Minuten die Hölle los sein. Beide Seiten werden sich heute Nacht nicht
an die Waffenruhe halten, sie sind alle viel zu sehr damit beschäftigt, sich
gegenseitig zu zerstören«, stieß er erbittert hervor. »Aber ich werde nicht
zulassen, dass du zwischen die Fronten gerätst und sie dir etwas antun.« Hastig
erhob er sich und spähte nach draußen.
Dann kam er auf sie zu,
schob ihre Hand in seine und zog sie hoch. Er presste sie beschützend an seinen
Körper, als sie durch die Dunkelheit der Nacht durch die verwinkelten Gassen
liefen. Die Luft war durchdrungen mit dem metallischen Geruch von Blut und Tod,
explodiertem Benzin und verbrannter Erde. Als sie um die nächste Ecke rannten,
blieb Hannah wie angewurzelt stehen. Vor ihnen, mitten auf der staubigen Straße
lag eine verkrümmte Gestalt.
Der Körper war mit
einer rotbraunen Kruste aus Wüstensand bedeckt. Das anmutige Gesicht sah fast
friedlich aus, als wenn es schliefe. Nur der rote Rinnsal an der rechten Schläfe
und die weitaufgerissenen Augen bezeugten, dass der Mann vor ihnen tot war.
Hannah sah zum ersten Mal in ihrem Leben einen toten Menschen.
Die Melancholie der
Endgültigkeit schnitt sich in ihre Seele und ihr Herz begann unkontrolliert zu
rasen. Entsetzt schrie sie auf und fasste sich zeitgleich an die Brust. Ihre
andere Hand löste sich schlaff auf Hakims Hand und sie sackte in den roten Sand.
Ihr Körper zitterte heftig, wie von einem schweren Anfall ergriffen.
»Hannah!«, schrie er
erstickt. Panisch kauerte er sich neben sie.
»Hakim«, murmelte sie
mit schwacher Stimme, »ich glaube, es geht mir nicht ganz so gut.« Aus den
Augenwinkeln sah sie in seinem Gesicht, dass er ihre Worte für die Untertreibung
des Jahres hielt. Hatte sie ihm eigentlich erzählt, dass sie Mitleid wie die
Pest hasste? Sie wusste es nicht mehr.
»Ist es dein Herz, hast
du einen Anfall?«, fragte er alarmiert. Auf ihr hilfloses Nicken versuchte er
sie etwas aufzurichten, dabei drang ein Stöhnen aus Hannas Brust. Sanft drückte
er ihren Oberkörper an seine Brust.
»Hannah, wo ist dein
Notfallspray?«, flüsterte er eindringlich. Mit bebenden Fingern deutet sie auf
ihre im Staub liegende Tasche. Hakim versuchte ihren Körper aufrecht zu halten
und zog vorsichtig mit der anderen Hand an der Tasche, stülpte den gesamten
Inhalt auf den Boden und griff nach Nitro-Spray. Mit zitternden Fingern teilte
er ihre Lippen sprühte es in ihren Mund. Hannah versuchte sich aufzusetzen, doch
er hielt sie zurück und hielt sie mit seinen Armen fest.
»Warte ein paar
Minuten, bis die Medizin wirkt«, flüsterte er ihr im sanften Ton ins Ohr und
betrachtete sie mit angespannter Miene.
Als es ihr besser ging,
half er ihr hoch und sie stolperten durch die verbrannten, lodernden Plantagen
des jetzt brennenden Niemandslandes. Als Hakim merkte, dass sie leicht
schwankte, hob er sie wortlos auf seine Arme und lief weiter. Am Zaun
angekommen, stellte er sie auf die Füße, glitt als Erstes durch das Loch und
half danach Hannah vorsichtig hindurch. Dann nahm er sie wieder in die Arme und
Hannah blickte ihn erstarrt an.
»Hakim, es geht mir
schon wieder besser, lass mich runter und geh zurück. Du darfst nicht hier sein.
Wenn die Soldaten dich erwischen, werden sie dich verhaften.«
»Nein«, murmelte Hakim
energisch. »Ich lasse dich bestimmt nicht in diesem Chaos alleine. Ich bin für
dich verantwortlich.«
Als machte ihm die Last
ihres Körpers nicht die geringste Mühe, trug er sie durch die zerbombten
Straßen. An allen Ecken standen unzählige Polizeifahrzeuge, Einsatzwagen der
Armee und Krankenwagen. Die Rettungskräfte und Ärzte schrien wild durcheinander
und versuchten der Flut der Verletzten Herr zu werden. Wie der bedrückenden
Szenerie zum Trotz erklang aus einem brennenden Restaurant immer noch eine
fröhliche Melodie aus der Musikbox.
Von dem Anblick
erschüttert schmiegte sich Hannah fester an seinem warmen, beschützenden
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