CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
über
den Zaun richtete, war menschenverachtend grausam.
»Ich rede nicht mit
einem, der über Israel richten will. Ihr … ihr alle seid wie die Pestbeulen, die
unser Land zerstören wollen.« Seine Hasstirade ging im schrillen Heulen des
plötzlich einsetzenden Raketenalarms unter. »Oh Gott …Tseva Adom, Farbe Rot«,
schrie Judith entsetzt, die Augen angstgeweitet auf das blinkende rote Licht auf
dem Schuldach gerichtet. Jetzt blieben ihnen noch fünfzehn Sekunden, bis sie in
den nahegelegenen Schulbunker flüchten konnten.
»Wir sind viel zu weit
weg«, kreischte Talya panisch, »das werden wir niemals schaffen.« Diesmal waren
alle wie erstarrt; von den Ereignissen überrumpelt. Als das grauenvolle Zischen
am Himmel erklang und der Flugkörper dicht über ihre Köpfe flog, warf Talya sich
schreiend auf die staubige Erde und hielt sich die Ohren zu. Kurz darauf schlug
die Qassam-Rakete in die Sporthalle des Campus ein. Durch die Wucht der
Detonation stürzte das Dach der Halle mit einem ohrenbetäubenden, schrecklich
widerhallenden Knall ein.
Innerhalb Sekunden
verdunkelte sich der Himmel und die Luft wurde von einer Staubschicht
durchtränkt, die in ihren Lungen brannte. David erwachte als Erstes aus seiner
Erstarrung. »Und ob wir das schaffen werden«, schrie er durch den jetzt
aufsteigenden Qualm. Dann riss er Talya auf die Beine und bedeutete den anderen,
auf den Bunker zuzurennen. Mit zusammengekniffenen Augen ergriff Leo Hannahs
Hand und zog sie hinter sich her, doch sie wehrte sich aus Leibeskräften und
versuchte sich aus seinem harten, besitzergreifenden Griff zu befreien und
blickte ängstlich zu Hakim zurück.
»Was soll das, du
glaubst doch nicht im Ernst, dass wir den Araber mit in den Bunker nehmen. Er
ist für all diese Scheiße hier verantwortlich«, schrie er Hannah böse zu. Hin-
und hergerissen zwischen ihren Freunden und ihrer erwachten Liebe zu Hakim war
Hannah mehr als verunsichert. Doch mit einem Mal wurde sie ganz ruhig, denn sie
fühlte, wie ihr Innerstes ihr eine Eingebung gab.
»Lass mich los!«
Blitzschnell riss sie sich los; rannte auf das Loch im Zaun zu und schlüpfte
keuchend hindurch. Hakim, sowie auch Leo und die anderen sahen sie fassungslos
an.
»Hannah, geh wieder zu
ihnen, sie sind dein Volk«, flüsterte Hakim entsetzt.
»Nein, du bist jetzt
mein Leben«, erwiderte sie zitternd.
Leo schrie sie wie ein
Wahnsinniger an, sofort zurückzukommen. Doch dann ertönte der zweite
Raketenalarm.
»Du bist eine
wahnsinnige Schlampe!« Brüllend schlug Leo mit den Fäusten auf den
Stacheldrahtzahn ein und starrte sie hasserfüllt an. Als die zweite Rakete durch
die Luft zischte gab er endlich auf und rannte hinter seinen Freunden her, um
sich im Luftschutzbunker in Sicherheit zu bringen. Damit hatte Hannah ihr
Schicksal bestimmt. Unwiderruflich.
****
Mit staubverkrusteten
Augen schlang Hakim einen Arm um ihren Körper und trieb sie mit Gewalt vorwärts.
Hinter ihm herstolpernd versuchte sie mit seinen langen Beinen Schritt zu
halten. Wenn er nicht so eisern ihre Hand umklammern würde, dann wäre sie
wahrscheinlich der Länge nach hingefallen. Der aufwirbelnde Wüstensand brannte
in ihren Augen, doch ihr blieb keine Zeit zum Verschnaufen, denn er drängte sie
mit unbarmherziger Härte immer weiter. Das metallische Heulen der Sirenen
schrillte unheilschwanger in ihren Ohren und vermischte sich mit dem dumpfen
Echo der in unmittelbarer Nähe einschlagenden Bomben. Die Detonation und die
kurz darauf einsetzende Druckwelle ließ den Wüstenboden unter ihren Füßen
erzittern.
Am Ortsrand der Stadt
schob er sie keuchend in den rettenden Bunker. Er war schon hoffnungslos
überfüllt. Angst schwirrte in der Luft. Der Lärm und die Wehklagen waren
ohrenzerreißend und vermischten sich mit dem Stöhnen der Verletzten, die auf der
Erde lagen. Schreiende Kinder lagen an den Brüsten ihrer Mütter, Männer und
Frauen hockten auf dem Boden und beteten murmelnd.
Im fahlen Halbdunklen
des nackten Betonraumes roch es nach verbrannter Erde, menschlichen
Ausdünstungen und Blut. Stumm führte Hakim Hannah durch den Tumult des
Menschengewühls und zog sie in eine abgelegene Ecke. Mit angezogenen Knien
lehnte er sich an die schmutzige Wand und wiegte Hannah beschützend in seinen
Armen. Beide waren viel zu erschöpft zum Reden. Sie waren umringt von der
brutalen Wirklichkeit eines unsinnigen, wahnsinnigen
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