Change for a Kill
drapiert hat. Ihre Gesichter werden vor dem Regen geschützt, seht ihr? Bei Edward war es der Vorsprung des Brunnens, bei den anderen das Geäst der Büsche, unter denen sie lagen. Ihm ist es gleichgültig, ob sein Opfer jung oder alt, männlich oder weiblich oder einer bestimmten Rasse zugehörig ist. Er ergötzt sich weder an Leid noch Angst, wie es für die meisten Psychopathen zutreffend ist. Er will nicht ihre Seelen oder ihren Willen brechen und auch nicht ihre Körper verstümmeln. Im Gegenteil, er macht Kunstwerke aus ihnen. Diese Ornamente sind keine Schriftzeichen, sie haben weder religiösen noch sonst irgendeinen Bezug, nicht wahr?“
„Wir haben alles geprüft, was unsere Datenbanken, Archive, Bibliotheken und Experten hergaben“, bestätigte Annika.
„Seht ihr? Ich stelle mir vor, wie er seine Opfer von ihrem in seinen Augen sinnlosen Leben befreit und ihnen Bedeutung schenkt. Jeder kennt nun ihre Namen, dutzende Menschen beschäftigen sich mit der Frage, warum sie getötet wurden. Er schenkt ihnen damit eine Art Unsterblichkeit und Berühmtheit, die ihnen sonst niemals möglich gewesen wäre. Zugleich benutzt er ihre Haut, die ja nicht mehr benötigt wird, für seine Kunst. Wie ein Maler präsentiert er stolz seine Exponate, zeigt, was er geleistet hat und will dafür anerkannt werden. Auch er selbst hat unsterblichen Ruhm bereits sicher, egal ob er heute oder erst in zehn Jahren geschnappt wird. Es ist zwar faszinierte Abscheu und Hass statt Bewunderung und Liebe, mit der ihn alle Welt betrachtet, aber manche Menschen bevorzugen es auf diese Weise. Das Fatale ist zudem: Wird er nie geschnappt oder verschwindet irgendwann einfach, wird er zum Mythos werden. Wie Jack the Ripper etwa. Wird er gefasst und verurteilt, reiht er sich still in die Riege der Monster ein. Bekommt er das Todesurteil oder wird bei der Verhaftung erschossen, wird er zum Märtyrer. Ganz egal, was wir tun, er kann nur gewinnen. Besiegen könnten wir ihn, indem wir ihm die Aufmerksamkeit der Presse stehlen und verhindern, dass sein Fall in der Öffentlichkeit stehen darf. Das ist unmöglich, zumal seine Morde bereits zu Unruhen und Straßenkämpfen geführt haben. Unser Rainman-Killer ist ein glücklicher, zufriedener Mann.“
„Warum die Zahlen? Warum nummeriert er sie?“, fragte Larry nach einigen Minuten schockierten Schweigens.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mit Sicherheit, das sind bloß Gedankenspiele. Wenn das Bild stimmt, das ich von dem Täter gezeichnet habe, dann sieht er seine Opfer als Gegenstände und gibt ihnen deshalb die Nummern. Sie sind sein Eigentum und ihm kostbar, aber eben keine Lebewesen mehr. Möglich wäre auch, dass er uns herausfordern will. Dass diese Zahlen eine Botschaft an uns sind: Schaut her, ich will geschnappt werden. Haltet mich auf, für jede weitere Leiche seid ihr selbst verantwortlich, nicht ich.
Sollte ich Recht haben, bedeutet das außerdem, dass er seine Opfer nicht willkürlich wählt, also nicht nimmt, was ihm gerade vor die Füße läuft, wenn ihn die Mordlust kitzelt. Er sucht sie sehr sorgfältig aus, erforscht ihr Leben, ihre Gewohnheiten, und auch der Platz, an dem er seine Kunstwerke drapiert ist nicht zufällig. Dieser Mann studiert alle Gegebenheiten, kennt die Orte in- und auswendig. Fundort, Leichen, ihre Körperhaltung, das alles gehört zum Gesamtkunstwerk.“
„Wenn das stimmt, vor allem was du über Mitleid und Bedeutungslosigkeit der Opfer gesagt hast, wie passt da Sally ins Bild?“, fragte Annika. „Sie war keine am Leben gescheiterte Frau. Und auch Jerome kann ich nicht ganz einfügen.“
„Wir müssen berücksichtigen, dass der Killer nicht in denselben Maßstäben denkt wie wir“, erwiderte Samuel. Allmählich wünschte er, er wäre still geblieben. Vermutlich glaubte man ihm kein einziges Wort und hielt ihn für einen verblödeten Spinner!
„Außerdem wissen wir zu wenig über die Opfer. Edward war ein Trinker, geschieden, einsam, suizidgefährdet. Bei ihm ist es augenfällig, warum der Mörder dachte, ihm einen Gefallen zu tun, indem er ihn in ein makaberes Kunstobjekt verwandelt. Von Keyla wissen wir, dass sie ein gefallener Engel war. Ihre Eltern hielten sie für ein braves Kind, in Wahrheit hat sie sich herumgetrieben und trotz ihrer extremen Jugend bereits Sex gehabt. Es hätte nicht mehr lange gedauert, bis das allgemein bekannt geworden wäre und man das Mädchen als Schlampe abgestempelt hätte.“
„Ein solches Verhalten bei
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