Change for a Kill
Ruhe kam, griff Samuel nach der verletzten Hand des Jungen.
„Ich habe mit einigen Leuten telefoniert, Cory. Es war ein bisschen Überzeugungsarbeit notwendig, aber es gibt da ein Reha-Zentrum im Gebiet der Vogelwandler, das ausschließlich auf Arme und Hände spezialisiert ist. Sie wären bereit, dich aufzunehmen, auch wenn sie mit Säugetierphysiologie weniger Erfahrung haben. Glaub mir, auf der gesamten Welt wirst du nichts finden, was mit dieser Einrichtung zu vergleichen wäre und wenn es die geringste Möglichkeit gibt, dir zu helfen, wird es dort gelingen. Bedenke: Ein Gepard auf drei Beinen kann immer noch laufen. Vielleicht langsam, vielleicht klappt es nicht mehr mit der Jagd, aber er kommt vorwärts. Ein Vogel mit nur einem Flügel hingegen kann niemals wieder fliegen.“
Corys Blick irrte zu Dylan hinüber, der nicht weniger überrascht war wie alle anderen auch. Samuel hatte ihn bewusst nicht gefragt, was er davon hielt, um keine vergeblichen Hoffnungen zu schüren, sollte der Junge das Angebot rundheraus ablehnen.
„Wenn du es willst, dann mach es. Es ist die beste Chance, die du kriegen kannst“, sagte Dylan mit belegter Stimme.
„Ich … wie komme ich dahin? Und was, wenn die Vögel mich hassen, so wie es dir hier passiert ist? Ich weiß nicht, ob ich das aushalte …“
„Für die Therapeuten und Ärzte wirst du ein Mensch sein, der Hilfe braucht, nicht mehr und nicht weniger. Genau wie niemand in diesem Krankenhaus mir mit Angst oder Hass begegnet ist. Einige waren vorsichtig, andere ein wenig misstrauisch, aber sie waren allesamt Profis, die sich um meine Verletzungen kümmern wollten. Du könntest in diesem Zentrum nicht wohnen, man müsste dich täglich fahren. Das ist machbar, es liegt nah an der Grenze, etwa sechzig Kilometer von deinem Zuhause. Die anderen Patienten wären ausschließlich Vogelwandler, nicht wenige von ihnen Opfer von Katzenangriffen. Sie würden dir mit ähnlichem Misstrauen, Hass- und Angstgefühlen begegnen wie ich es erlebt habe, ja. Dort zu wohnen wäre deshalb keine gute Idee. Du würdest Behandlungspläne bekommen, bei denen du mit keinen von ihnen zusammenstoßen musst und niemand hat einen Grund, einen Teenager anzugreifen, der noch zur Schule geht.“
„Wäre für seine Sicherheit garantiert?“, fragte Annika.
„Absolut sicher ist nichts auf der Welt. Vogelwandler neigen nicht zu jähzornigen, unprovozierten Attacken, solange Cory also in menschlicher Gestalt bleibt und niemanden belästigt, ist das Risiko gering.“
„Sag bloß nicht nein“, ließ Aaron sich vernehmen, „Und du auch nicht, Dylan.“
Als Dylan nickte, tat Cory es ihm gleich. Alle atmeten erleichtert auf und umringten den Jungen, der sie endlich nicht mehr ignorierte.
Samuel nutzte die Gelegenheit, um zur Tür zu schleichen. Lose verabschiedet hatte er sich bereits von jedem, er wollte keine peinlichen Szenen, bei denen niemand wusste, ob man „Auf Wiedersehen“ oder „Viel Glück in deinem Leben“ wünschen sollte. Er nahm das Treppenhaus, Aufzüge waren ihm zuwider. Winzige, abgeschlossene Kammern, bei denen man nichts tun konnte, sollten sie abstürzen … Als er fast im Erdgeschoss angekommen war, holte Dylan ihn ein.
„Danke, was du da oben getan hast war unglaublich“, sagte er und schloss ihn brüderlich in die Arme. Samuel hielt ihn fest, als er sich lösen wollte.
„Mein Angebot steht, ich helfe dir bei den Morden“, wisperte er ihm ins Ohr. „Du wirst mich als Patient in dem Zentrum finden, es wird eine Weile dauern, bis ich wieder flugtauglich bin. Vor zwei Jahren habe ich den Mord an der Frau des leitenden Oberarztes aufgeklärt, darum bin ich ohne Warteliste aufgenommen worden und konnte den Kleinen mit reinschleusen. Cory und ich werden nicht alle Therapien gemeinsam haben, trotzdem kann ich auf ihn aufpassen, während du in den Vorräumen oder auf dem Außengelände warten musst. Halte mich informiert. Sollte irgendetwas geschehen, schick mir eine verschlüsselte Nachricht.“ Er ließ ihn los, lächelte über Dylans verwirrtes Gesicht und wühlte kurz in seiner Umhängetasche.
„Hier, dein Buch, ich hatte es vergessen“, sagte er in normaler Lautstärke und drückte ihm eine gebundene Abhandlung über Territorial- und Sozialverhalten von Raubtierwandlern in die Hand. „Es war sehr aufschlussreich, jetzt brauche ich es natürlich nicht mehr. Vielleicht treffen wir uns mal irgendwann auf ein Bier im Boister Club? Dann kannst du mir erzählen, wie sich
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