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Change

Change

Titel: Change Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luisa Raphael
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Schatten des Verstärkers heraus. Auch ich lehnte mich weiter vor, musterte den soeben in seinem Tun stoppenden Drummer, der ein Basecap trug, mit dem Mützenschild nach hinten. Große Augen erwiderten meinen Blick, meine vorsichtigen, wachsamen Sinne vernahmen ein gewisses Misstrauen in ihnen.
    „Lassen wir den Song – einen letzten noch, mit Mike zusammen. Dann war es das.“, erhob sich die Stimme des Gitarristen. Ich erkannte sie – hatte ich doch schon mit ihm telefoniert. Dies also war Dexter. Da ich nur seinen Rücken sah, konnte ich nicht feststellen, wie er aussah – nur seine Kopfhörer, die überdimensional groß waren, stachen mir ins Auge.
    „Fuchs, du bist auch wieder da? Nimm den Bass – welchen Song, Mike?“, erteilte der dominante Musiker weiter Befehle. Mir entging die Antwort desjenigen, der mit Mike angesprochen worden war, da ich in Gedanken mit mir selbst haderte, ob ich mich vorstellen sollte innerhalb dieser kurzen Pause. Sebastian, der mich mit in den Proberaum geschleppt hatte, stellte sich gerade neben dem Schlagzeug auf, einen dunkelblauen Bass umgehängt. Er lächelte mir zu, dann wandte er sich zu dem Sänger, der mich noch immer nicht bemerkt hatte.
    „Bist du soweit?“, klang Dexters Stimme herausfordernd durch den Raum, mir war nicht klar, wen genau er meinte. Doch sowohl Sebastian als auch der Sänger und der Schlagzeuger nickten ihm zu, sodass ich annahm, er hatte die Frage tatsächlich an alle gestellt.
    Gerade wollte ich mich wieder still und heimlich aus dem Proberaum verkrümeln, doch ich entschied mich dagegen, als der Drummer einen Vortakt schlug. Sofort stiegen krawallig und verzerrt Gitarre und Bass ein. Doch das Intro dauerte nicht lange an, nur das Schlagzeug war weiterhin zu hören, statt der Gitarre setzte der Sänger jetzt ein, sang langsamer und ruhiger. Ich stellte überrascht fest, dass dies ungleich viel besser klang.
    Und einen Bruchteil einer Sekunde danach später schalt ich mich für meine oberflächliche Beurteilung, für meine Unaufmerksamkeit. Denn je länger der Sänger zu hören war, desto mehr viel die andere Stimme auf. Sie hielt sich im Hintergrund, klang tiefer und intensiver. Und sie klang so bekannt in meinen Ohren. Diese Stimme hatte ich seit nunmehr fast vier Jahren nicht mehr gehört.
    In diesem Moment konnte ich nicht mehr klar denken. Mein Herz krampfte sich zusammen, Erinnerungen überfluteten mein Gehirn, Tränen drangen in meine Augen. Wie von Sinnen sprang ich hinter dem Verstärker hervor, trat nah an den anderen Sänger heran, auf dessen Blatt ich den Text lesen konnte. Doch mein Blick riss sich davon los, mit tausend verschiedenen Gefühlen in meinem klopfendem Herzen sah ich zu dem Mann, der so wunderschön sang – der gleichzeitig an einem Keyboard saß, neben ihm ein weiterer, für den ich jedoch keine Augen hatte.
    Ich starrte wie festgefroren auf den schwarzhaarigen Keyboarder – auf Mike, denn nun drang dieses hintergründige Wissen wieder in meinen Kopf. Es passte einfach alles – der Name, die Stimme, das Aussehen, die schwarzen Haare, die dunklen Augen, die karamellfarbene Haut, die schlanken Finger, die über die Tasten huschten und ohne einen Fehler zu machen, das Instrument beherrschten – es war tatsächlich Mike, der da nur wenige Meter entfernt saß, in seiner Musik aufging, mit ruhiger, sanfter Stimme einen verzweifelten, mich in jenem Moment in seiner Düsterheit zu Tode anrührenden Text sang.
    Es war Mike. Ungeachtet der Unmöglichkeit dieses Faktes, war er real.
     

34. Kapitel
     
     
    März bis Mai 1998 – Aiden
     
     
    Das unwahrscheinlichste Ereignis war letztendlich doch eingetreten. Ich stand nur wenige Meter vor dem totgeglaubten Mike – und war vor Überraschung, Freude und Unglauben wie vor den Kopf geschlagen. Mehrere Sekunden starrte ich ihn nur an, stand wie erstarrt. Der Refrain des Songs glitt an meinen Trommelfellen vorbei, ohne von mir wahrgenommen zu werden. Der Anblick des schwarzhaarigen Mannes am Keyboard fesselte mich so sehr, dass ich nicht mal sofort reagierte, als der Sänger in meinem Rücken sich empörte und in seinem Tun inne hielt. Statt zu singen, blaffte er mich an, seine Augen funkelten wütend, er hatte sie zu Schlitzen verengt und stierte mich an, als ich mich zu ihm umdrehte, widerwillig von Mikes Anblick lösend.
    „Was soll das? Wer ist das?“, machte sich der Jugendliche laut bemerkbar. Seine aufgebrachte Stimme hörte sich schrill vor dem Hintergrund der Gitarre

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