Chaos Erde
worden, würde ich sagen, bis die Kryogenik mehr oder weniger perfekt funktionierte, und dann hat man nicht nur das Einkommen der Kinder, sondern auch schon der Enkel beliehen, um sich einfrieren zu lassen.«
»So ist es gewesen. Ist Ihnen jetzt klar, warum keine Japaner mehr zur Erde kommen? Am wenigsten, um die Gräber ihrer Ahnen zu besuchen?«
»Ach…« Anscheinend ging Nixy ein großes Licht auf. »Ich hatte vergessen, das hing irgendwie mit Religion zusammen, oder? Es war nicht bloß Gefühlssache. Also verlor man, sobald die Menschheit vom Aberglauben geheilt worden war, das Interesse daran.«
»Anangaranga-Jones- san, das ist eine kluge und logische Schlußfolgerung. Allerdings ist sie unzureichend. Zum Beispiel überwog das soziale Element, also das Treffen am Familiengrab, bei weitem den zusehends diskreditierten religiösen Aspekt. Erlauben Sie mir eine Frage. Aus welchem Grund, glauben Sie, sind Sie bei Ihrer Ankunft einem Samurai in Rüstung begegnet?«
Quaddel machte ein langes Gesicht. »Äh… Vielleicht wegen des historischen Bezugs? Er war ‘n bißchen kurzangebunden, aber er hat erwähnt, er hätte für uns die Teezeremonie vollzogen. Aber natürlich wußten wir nicht, daß wir danach fragen müssen.«
»Es ist eine Vorsichtsmaßnahme.« Mick wirkte müde. »Die Rüstung und die Waffen sehen lediglich mittelalterlich aus, in Wirklichkeit bilden sie ein ultramodernes Schutz- und Waffensystem. Wären Sie Japaner, ein Nachfahre einer der Familien, die das Einkommen ihrer Enkel verpfändet haben, um ein Kryogenik-Grabstätte zu erwerben, Sie wären augenblicklich verhaftet worden, sie hätten nicht einmal mit einem eigenen Direkttranslokator unterm Arm entkommen können. Der für unsere kryogenischen Anlagen zuständigen Firma ist seit Jahrhunderten kein Sen mehr gezahlt worden. Sie hat Millionen von Klagen gegen die Erben der Menschen angestrengt, die in den Kälte-Containern liegen, aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß einer der Abkömmlinge jemals einen Fuß auf die Erde setzt. Natürlich nicht. Weshalb sollten sie? Nähme man sie hier fest und ihnen genug Krediten für die Wiederbelebung ihrer Vorfahren ab, wäre nämlich die nachfolgende Konsequenz, daß diese Vorfahren eine Klage einreichen, um feststellen zu lassen, daß sie nach wie vor legale Familienoberhäupter ihrer jeweiligen Sippschaft sind. Wessen Nachkommen wären denn mit so etwas einverstanden?«
»Soviel ich weiß, gehört es doch zu den Bedingungen des mit den Yelignesen abgeschlossenen Terra-Sanie-rungsvertrags…«
»Daß die kalifornischen KryoKonserven abgetaut werden. Sie haben völlig recht. Hier sind wir aber in Japan, und die Vertragsbedingungen besagen, daß es hier nicht geschehen soll.«
»Wäre Multi-Opa«, sagte Nixy mit schwacher Stimme, »in einem Tiefkühlbehälter eingefroren…«
Quaddel ruckte. »Dann hättest du keine Lust, für seine Wiederbelebung zu bezahlen. Ich würde meine Eltern auch nicht wiederhaben wollen.«
Er rückte energisch seine Schultern gerade, während der ihnen eröffnete Ausblick sich verbreiterte und schließlich – von Meer zu Meer – die gesamte japanische Inselgruppe umfaßte.
»Glauben Sie, daß je einmal irgendwelche Japaner zurückkehren?«
»Wir haben eine extrapolative Projektion erarbeitet, der zufolge in ungefähr einem Jahrhundert wenigstens einer von uns… Verzeihen Sie die Ausdrucksweise, aber wie gesagt, man neigt zur Identifizierung mit unseren menschlichen Vorgängern. Wenigstens ein exoplanetarer Japaner könnte dann so reich sein, daß er das Risiko in Kauf nimmt, für die Gefrierlagerung seiner Ahnen verklagt zu werden und außerdem in den galaktischen Gesetzen hinlänglich bewanderte Justizroboter mieten zu müssen, um die Ansprüche etwaiger wiederbelebter Vorfahren abzuwehren. Zudem kursiert ein Gerücht, dem wir nachgegangen sind und das wir als begründet einstufen. Um eine solche wie die eben angedeutete Entwicklung abzuwenden, die naturgemäß Schmach und Schande für alle zur Konsequenz hätte, die nicht gleichermaßen zu verfahren imstande sind, sollen die wohlhabendsten Japanerfamilien einen Fond geschaffen und einem gaijin enorme Summen vorgeschossen haben, der versprochen hat – und jetzt zitiere ich –, >für unsere gemeinsamen Schwierigkeiten eine maximal ästhetische Abhilfe zu finden<. In der Hoffnung, dadurch einen Schlüssel zur Lösung unserer eigenen Problematik zu entdecken, haben wir den Sinn dieser Formulierung zu klären
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