Chaos Erde
japanstämmigen Exoplanetaren ihre Ahnenschreine aufsuchen.«
»Probieren Sie’s doch erst mal mit Worten«, entgegnete Quaddel. »Oder mit beidem gleichzeitig.«
»Wie Sie wünschen.«
Der Hauch tiefen Atmens. Er klang nach Kollektivität, durchseufzte die gesamte Menge der von Langweile gequälten, einsamen Simulacren.
»Zunächst möchte ich zur Information darauf hinweisen, daß gegen Ausklang des zwanzigsten Jahrhunderts die Haushalte in Tokio, Osaka und anderen Großstädten Nihons immerhin über ein Gesamtvermögen im Äquivalent vieler Millionen amerikanischer Dollars verfügten, der Währung, die damals als internationale Leitwährung galt.«
Zur gleichen Zeit schien der Wind Quaddel und Nixy fortzutragen. Es war, als blickten sie aus entschieden größerer Höhe, als die Dächer sie erreichten, auf die Stadt hinunter, und die Hochbauten stellten größenmäßig tatsächlich alles in den Schatten, was Quaddel aus seinem vorangegangenen Leben kannte. Trotzdem sahen sie auch jede Einzelheit so genau, als hielten sie sie sich mit den eigenen Händen vor die Augen.
Alles war sauber. Nirgendwo lag der geringste Abfall. Sogar die Luft roch keimfrei. Auf Reklameflächen gab es fröhliche Gesichter ohne die kleinste Andeutung der Schwermut zu sehen. Restaurants warben mit lecker anzuschauenden Nach- oder Abbildungen der bei ihnen verzehrbaren Gerichte, oder mit Videos grinsender Küchenchefs (die Menschen gewesen sein mochten oder nicht), die drei-, vier- oder fünffach angeschnittene Fische hochhielten, so frisch, daß sie noch zuckten. Glas paarte sich mit Plastik und rostfreiem Stahl; überall mußten Häuser normaler Höhe im Wettstreit mit den Wolkenkratzern kapitulieren; auch das Meer war der Bevölkerungsexplosion unterlegen, der massenhaften Ausbreitung und der Bauwut, es kannte nur noch nominelle, gebändigte Fluten, strömte durch Kanäle, ähnlich wie in Venedig (Kalifornien), die Stadt marschierte mit ihren Bauten hinaus aufs Meer wie eine Invasionsarmee.
»Das ist, was sie, wie sie glaubten, haben wollten«, sagte Mick im Tonfall der Verzweiflung. »Aber nachdem wir es gebaut hatten, wie sie es wünschten, sind sie alle fortgegangen.«
»Sie haben uns bis jetzt kaum was erzählt«, mahnte Quaddel.
»Uns ist früh gelehrt worden, daß das Zeigen über das Erklären geht.«
»Zeigen Sie uns ruhig was, aber erklären Sie’s uns auch.«
Zu Preisen, deren Höhe übertraf, was die meisten Menschen im ganzen Leben zu verdienen hoffen durften, türmten sich dicht an dicht neue, blitzblanke, feine Apartments – nein, Kompartimente! – an den Himmel empor, immer und immer mehr Familien drängten sich auf den kostbaren wenigen Hektar Boden rings ums Stadtzentrum zusammen; in Städten, in denen der Kauf eines Autos einen Dauerparkplatz zur Voraussetzung hatte, wo die »richtige« Anschrift eine Laufbahn fördern oder verhindern konnte…
»Allmählich verstehe ich«, meinte Quaddel leise. Nixy sah ihn fragend an. »Ich verrat’s dir gleich«, fügte er hinzu. »Es könnte sein, ich irre mich.«
Für ein Weilchen schwieg er. »Es wäre mir lieber, daß ich mich irre«, sagte er dann.
Sie »überflogen« einen Friedhof. Um einen regulären Friedhof handelte es sich allerdings nicht. Weithin ragte überall das unter japanischen Verhältnissen gewohnte Gemisch von shintoistischen und buddhistischen Grabstelen empor, doch sie standen nicht auf einem Flecken Erdboden, der zu steil oder zu steinig gewesen wäre, um landwirtschaftlich genutzt zu werden. Statt dessen steckten sie in weißen, mit frostweißem Reif überzogenen, halbzylindrischen Containern. Dem normalen bloßen Augen hätten sie eigentlich gar nicht sichtbar sein dürfen.
»Au«, machte Quaddel mit vor Betroffenheit heiserer Stimme.
»Ich glaube«, bemerkte Mick halblaut, »mittlerweile wissen Sie Bescheid.«
»Ich glaub’s auch.« Quaddel leckte sich mit der Zunge über die Lippen. »Jetzt erinnere ich mich, ich hatte damals gehört, daß die Preise für Eigentumswohnungen hier dermaßen in die Höhe geschossen waren, daß Familien schon im voraus die Einkünfte ihrer Kinder beleihen mußten.«
»Was?« entfuhr es Nixy. »Rimski, das ist doch wohl ‘n Scherz.«
»Leider nicht«, versicherte Mick ihr mit unterdrückter Stimme. »Weiter bitte, Quaddel- san.«
»Ich habe nicht lange genug gelebt, um die nächste Phase mitzukriegen, aber das Wissen aus der Info-Pille ermöglicht es mir, gewisse Parallelen zu ziehen. Es ist gewartet
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