Chaosprinz Band 1
wirklich nicht deine Schuld, Martin. Und wir haben in den letzten Stunden wirklich tolle Arbeit geleistet. Alles ist sauber, aufgeräumt und steht wieder an seinem Platz.«
»Sofern es nicht zerstört worden ist…«, unterbricht Lena Elena und erntet dafür einen warnenden Blick.
Elena hat schon recht, auf den ersten Blick könnte man nicht meinen, dass hier vor wenigen Stunden noch sechzig durchgeknallte Jugendliche herumgesprungen sind. Es hat eine Weile gedauert, ehe wir auch die letzten Betrunkenen davon überzeugen konnten, endlich zu verschwinden, und noch länger haben wir gebraucht, um jedes verliebte Pärchen zu finden und aus ihren Verstecken zu scheuchen. Aber es ist uns gelungen.
Dann haben wir uns den am Boden zerstörten Martin geschnappt und unter der Leitung von Elena begonnen, das gesamte Haus zu putzen. Ich habe leere, halbleere und volle Bierflaschen eingesammelt, Lena die zertretenen Chipskrümel aufgesaugt, Elena das schmutzige Geschirr gespült und Martin ist dreimal fast in den Pool gefallen bei dem Versuch, ihn von allem zu befreien, was eigentlich überhaupt nicht ins Wasser gehört. Lena und ich sind danach zum Badezimmerputzen verdonnert worden. Eine echte Strafe.
Nun sieht das Haus – fast – aus wie vorher. Auch der penetrante Geruch nach Essen, verschüttetem Alkohol, Schweiß und was weiß ich noch allem ist mittlerweile verschwunden. Jetzt riecht es nach Meister Proper und Febreze . Nur ich fühle mich noch dreckig und hätte nichts gegen eine schöne, heiße Dusche…
»Wisst ihr, was ich am allerschlimmsten fand?«, fragt Martin leise in die Runde und setzt sich dabei wieder auf.
»Dass Maria ihre High Heels nicht ausgezogen hat?« Ich schaue ihn grinsend an.
»Nein.«
»Dass keiner deinen selbstgebackenen Geburtstagskuchen essen wollte?«, rät Lena.
»Nein.«
»Der Kratzer auf dem Flachbildfernseher?«, schlägt Elena vor.
»Nein!« Martin schüttelt den Kopf. »Am schlimmsten fand ich, dass irgendjemand dieser blöden Sexpuppe das Verlobungskleid meiner Mutter angezogen hat. Das hat mich echt getroffen.«
Ich starre auf den Boden, beobachte das feuchte Gras. Eine Ameise kämpft sich einen Halm nach oben, trinkt von dem frischen Tau. Ich weiß, wenn ich jetzt Lena anschaue, werden wir beide schreien vor Lachen. Ich darf sie nicht ansehen. Nur nicht ansehen! Ich schmecke Blut, so sehr beiße ich mir auf die Lippen.
»Das kann ich verstehen, Martin«, lächelt ihn Elena unwissend an.
»Die Leute aus eurer Klasse sind schon etwas extrem…« Martin und Lena zucken mit den Schultern.
»Hast du eigentlich noch mal mit Alex gesprochen?«
Lenas Frage trifft mich völlig unerwartet. Ich habe die letzten Stunden erfolgreich versucht, nicht an ihn zu denken und auch jetzt bin ich noch nicht in der Lage dazu. Immer, wenn ich mich an die Ereignisse vor der Garage zurückerinnere, beginnt mein Hirn zu summen, ein Pfeifton in meinen Ohren verhindert jede logische Schlussfolgerung und ich kann wieder eine unterschwellige Übelkeit in meinem Magen spüren...
»Nein«, antworte ich tonlos.
Lena weiß mittlerweile, dass ich schwul bin. Ich bin mit einer Schürze, der Klobürste, Gummihandschuhen und einem Stirnband im Haar, damit mir die Strähnen nicht immer ins Gesicht fallen, aus der Toilette gewankt, als sie mich im Flur gefragt hat: »Tobi, bist du schwul?«
Meine erste Reaktion ist gewesen: »Warum denn? Ich will mich bloß nicht vollsauen mit dieser Scheiße…«
Doch natürlich meinte Lena nicht meinen seltsamen Aufzug, sondern das, was ich im Hof zu Alex gesagt habe, irgendwas von potent und hetero oder so…
Ich krieg das gar nicht mehr richtig zusammen. Bin so emotional gewesen. Wie dem auch sei, Lena hat eins und eins zusammengezählt und zwei rausbekommen: Sie weiß, dass ich schwul bin und wie ich sie in den letzten zehn Stunden kennenlernen durfte, hat sie sich bestimmt schon den ein oder anderen Gedanken bezüglich Alex' und meiner brüderlichen Beziehung gemacht…
Jetzt mustert sie mich schweigend. Ich will das Thema auf etwas anderes lenken.
»Hey Leute, lasst uns anstoßen!« Ich halte meine Kaffeetasse in die Luft.
»Worauf willst du denn anstoßen?«, fragt Lena grinsend.
»Auf eine tolle Nacht?« Wow, Lulatsch hat ja doch Humor… Galgenhumor.
»Auf einen Neuanfang!« Ich lächle die anderen müde an.
»Das finde ich schön.« Elena erhebt ebenfalls ihre Tasse.
»Auf einen Neuanfang in der Freundschaft und der Familie.« Ich atme tief ein.
»Und
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