Chaosprinz Band 1
einordnen… Seinen Platz in einer bestehenden Klassengemeinschaft zu finden, ist extrem schwer.
In meinem Fall hat die Sache aber noch ein, zwei weitere Haken: Da wäre zum einen Martins Geburtstagsparty und mein kleiner Scherz, den scheinbar außer mir keiner so richtig komisch gefunden hat…
Ich weiß überhaupt nicht, wie sie auf mich reagieren werden und wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll. Die Tatsache, dass Alex und ich in dieselbe Klasse gehen werden, beruhigt mich auch nicht sehr. Wir haben uns in letzter Zeit die allergrößte Mühe gegeben, einander aus dem Weg zu gehen, und nun müssen wir uns regelmäßig sehen, möglicherweise sogar stundenlang gemeinsam in einem Klassenzimmer sitzen. Ich weiß nicht, ob mein schwaches, kleines Herzchen das aushalten wird…
All das spukt seit gestern Nacht in meinem Kopf herum und hat dafür gesorgt, dass ich erst kurz vor Mitternacht in einen unruhigen Schlaf gefallen bin. Schon wenige Stunden später bin ich wieder aufgewacht, gepeinigt von einem Alptraum und nicht mehr in der Lage, wieder einzuschlafen.
Also habe ich bereits um kurz vor fünf unter der Dusche gestanden und seit etwa zwanzig Minuten sitze ich nun hier unten im Wohnzimmer und schaue fern. Das Fernsehprogramm kann mich aber nicht wirklich ablenken. Ich zappe wahllos durch die Programme.
Im Ersten kommt irgend so eine Frühstücksfernseh-Show. Die gute Laune, die die beiden jungen Moderatoren zu haben scheinen, macht mich unendlich aggressiv. Ich meine, hallo, es ist noch nicht mal sechs Uhr morgens und diese beiden Lackaffen präsentieren schon ihr allerschauerlichstes Dauergrinsen, das ist doch gruselig!
In den anderen Programmen zeigen sie die Wiederholung einer Wiederholung von irgendwelchen Wiederholungen. Hab ich alles schon gesehen. Ich bleibe bei einer Zeichentrickserie hängen. Scheinbar eine Sendung für Kleinkinder. Ein Mädchen mit einem übergroßen Kopf, wild abstehenden Zöpfen und einem riesigen, lachenden Mund hüpft durch eine bunte Zeichentrickwelt, Hand in Hand mit einem rosa Hasen. Sie singen ein Lied. Ein Lied mit nur einer Strophe, die sie die ganze Zeit über unermüdlich wiederholen. Scheiße, diesen Mist werde ich den ganzen Tag nicht mehr loswerden…
»Was machst du da?«
Ich zucke erschrocken zusammen. Alex steht im Türrahmen. Er trägt seine Jacke und eine Umhängetasche über der Schulter.
»Wo kommst du denn plötzlich her?«, frage ich ihn verwirrt. Hui, da ist er wieder, der Stachel der Eifersucht. Den kenn ich ja mittlerweile schon, er sitzt tief und liebt es, mich zu quälen. Alex wirft Tasche und Jacke auf einen der Sessel und lässt sich schwer neben mich auf das Sofa fallen.
»Sag schon, wo warst du?« Meine Stimme klingt schon wieder zickig und schrill.
»Ich war bei Tom. Wir haben DVDs geguckt und ich bin irgendwann eingepennt.« Alex schaut geradeaus zum Fernseher. Ich lächle ein bisschen und der Stachel der Eifersucht hört auf, zu bohren. »Sag Mom aber nichts davon, dass ich jetzt erst nach Hause gekommen bin. Sie mag es nicht, dass ich so lange weg bin, wenn wir am nächsten Tag Schule haben.«
»Ja, okay.« Ich nicke.
Dann schweigen wir, starren nur stumm in den Fernseher. Das Ballonkopfmädchen erklärt ihrem rosa Hasen, wie man richtig zählt. Eine bunte Blume, zwei bunte Blumen, drei bunte Blumen, vier bunte Blumen… Alex und ich schweigen immer noch. Ich zupfe nervös an meinem T-Shirt herum. Es ist komisch, so friedlich neben ihm zu sitzen. Kein Streit, kein Kuss… Sehr ungewohnt.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du schon so früh wach bist.« Er schaut mich nicht an, doch seine Stimme klingt ruhig… nicht unfreundlich.
»Ich konnte nicht mehr schlafen«, erkläre ich leise.
»Warum?«
»Keine Ahnung…«
»Willst du nicht reden?«
»Nee…«
»Du bist du echt eine Diva.« Alex schnaubt genervt.
»Psssst, ich will das sehen«, murre ich.
»Du willst das sehen?« Er zeigt auf das kleine Mädchen mit dem Ballonkopf, ihren rosa Hasen und einen lila Regenschirm, den sie eben getroffen haben und mit dem sie nun einen schrillen Song über die vier Jahreszeiten singen.
»Ja, ich finde das total spannend«, murmle ich und starre weiter geradeaus.
»Ja, klar.« Ich weiß, dass er in diesem Moment die Augen verdreht. »Baby-Bambi liebt Baby-Sendungen…«
Ich setze mich auf, drehe mich halb zu ihm, sodass ich ihn besser sehen kann, und funkle ihn aufgebracht an. »Du hast recht, das ist eine Baby-Sendung und
Weitere Kostenlose Bücher