Chaosprinz Band 2
murmelt Alex mit finsterer Miene.
Ich würde mich sehr gerne vor dieser Aufgabe drücken, doch Alex' Finger, die das Croissant nervös in kleine Einzelteile zerlegen, überzeugen mich von seinem Gefühlschaos und wecken in mir den Wunsch, ihm zu helfen.
Ich wähle die Nummer. Es klingelt durch. Einmal, zweimal, dreimal. Dann nimmt jemand den Hörer ab und Marthas vertraute Stimme meldet sich.
»Hallo, Martha, guten Morgen«, sage ich und versuche dabei, fröhlich zu klingen.
»Tobi?« Sie ist überrascht. Wahrscheinlich ist sie noch nicht oben in meinem Zimmer gewesen, um mich zu wecken.
»Ja, ich bin's… ähm, Martha…« Himmel, das ist irgendwie viel schwieriger, als ich gedacht habe. »Ich muss dir was sagen…«
»Was ist denn? Wo bist du? Ist etwas passiert?« Sie klingt sofort panisch.
»Nein, nein, mach dir keine Sorgen, nichts ist passiert. Es geht uns gut«, beruhige ich sie schnell.
»Uns?«
»Ja, Alex und mir…«
Ein kurzes Schweigen. Dann ein tiefer Seufzer. »Oh Gott, bitte sag mir, dass Alex nichts Dummes getan hat…«
Ich werfe einen kurzen Blick auf ihn. Er sitzt neben mir und zerpflückt immer noch sein armes Croissant, ohne auch nur ein einziges Stück davon in den Mund zu schieben. Ich strecke den Arm aus und lege meine Hand auf seine zitternden Finger.
»Er war gestern sehr durcheinander… wegen dieser Neuigkeit. Er musste einfach für ein paar Tage raus. Eine Luftveränderung, den Kopf frei bekommen. Und er hat mich gebeten, ihn zu begleiten.« Wieder ein Seufzen am anderen Ende der Leitung.
»Armer Junge«, meint sie leise.
»Macht euch keine Sorgen, wir sind bald wieder da«, meine ich und versuche, dabei zu lächeln.
»Wo seid ihr jetzt? Wo fahrt ihr hin?« Gute Frage, wüsste ich auch gerne.
»Nicht nach Dubai.« Mein Scherz kommt weder bei Martha noch bei Alex besonders gut an. Sie fragt nur verwirrt nach und er verdreht die Augen.
»Ich kann dir im Moment nicht verraten, wo wir sind. Wir melden uns aber immer wieder und sagen euch, wie es uns geht, okay?« Hoffentlich gibt sie sich mit diesen Informationen zufrieden.
»Gut«, haucht Martha. »Ich werde es euren Eltern erzählen müssen…«
»Ja«, stimme ich ihr zu. »Sag ihnen, dass alles in Ordnung ist.«
»Mach ich. Tobi, bitte passt auf euch auf.« Tränen in ihrer Stimme.
»Natürlich, bis bald.« Seufzend lasse ich den Hörer sinken. »Das war grausam.«
Die Vorstellung einer Martha, die in ihrem Morgenmantel in der Küche steht und mit besorgtem Gesichtsausdruck und Tränen in den Augen erfahren muss, dass zwei ihrer geliebten Schützlinge einfach so abgehauen sind, ist schrecklich. Mein schlechtes Gewissen drückt ganz schön auf mein armes Herz.
»Danke«, murmelt Alex leise. Er hat mittlerweile aufgehört, das arme Gebäck auseinanderzunehmen, und ist dazu übergegangen, es einfach nur mit kühlen, grauen Augen anzustarren.
Ich rutsche etwas näher an ihn heran und taste wieder nach seiner Hand. Vorsichtig beuge ich mich zu ihm rüber und küsse seine Wange. Er sieht mich an, lächelt. Ich weiß nicht, ob er meinem oder ich seinem Gesicht näherkomme, ich weiß nicht, wer den ersten Schritt getan hat.
Ich sehe einfach nur noch seine Augen, bin vollkommen auf sie fixiert. Die langen, schwarzen Wimpern, die schwarzen Pupillen, die graue Iris… Ich verliere mich in der Musterung… Da sind Streifen eines zarten Hellblaus und alle Nuancen von Grau, die man sich nur vorstellen kann. Diese Augen können so kühl schauen, kühl, hart und verschlossen, aber es gibt Momente, da stehen sie ihren Betrachtern offen gegenüber… weit offen… lassen ganz tief blicken…
Dies ist so ein Moment. Ich schließe meine Augen erst, als sich unsere Lippen berühren. Ein zarter Kuss. Trotzdem sehr real, sehr wirklich, sehr echt. Unser erster Kuss in der Öffentlichkeit. Keine Dunkelheit, die uns versteckt, keine Zimmerwände, die uns schützen, keine Türen, hinter denen wir uns einschließen. Der Kuss geht nicht tiefer, dauert nicht lange an und macht mich dennoch so wahnsinnig glücklich.
Schweigend genießen wir unser Frühstück und die ersten dünnen Sonnenstrahlen, dann steigen wir wieder ins Auto und setzen unsere Reise fort. Auf der Autobahn herrscht nun dichter Verkehr. Wieder kommen wir nur langsam voran, doch wir sind ja nicht unter Zeitdruck und müssen uns aus diesem Grund auch nicht stressen.
»Sollen wir Tom und Lena Bescheid geben?«, frage ich nach einer Weile.
»Hm… ja, vielleicht.« Alex klingt
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