Chaosprinz Band 2
war meine Sekretärin…«
Ma und ich kreischen beide gleichzeitig los.
»Wie kann man nur so gefühllos sein?«, schreie ich.
»Das ist so was von typisch«, brüllt Ma.
Pa hebt abweisend beide Arme. »Seid doch mal still, lasst mich doch erklären!«
»Ich scheiße auf deine Erklärungen«, krächze ich und muss mir auf die Lippen beißen, um nicht doch noch zu heulen.
»Ich hatte mir das Handgelenk verstaucht… beim Tennisspielen«, wirft Pa ein. »Ich habe alle deine Karten selbst ausgesucht und auch selbst geschrieben… nur dieses Jahr ging es eben nicht. Ich habe meiner Sekretärin den Text diktiert. Sie war gerade mal zwei Wochen bei mir und ein fürchterlich ungeschicktes Ding – mittlerweile arbeitet sie auch nicht mehr für mich.«
Diese Erklärung kann meine Wut kaum mindern. Und auch Ma scheint nicht vorzuhaben, so schnell von ihrem Standpunkt abzuweichen.
»Das war doch nur die Spitze des Eisbergs, Joachim«, zischt sie.
»Ich war dir immer egal«, krächze ich. »Du hast dich nie für mich interessiert!«
»Das ist nicht wahr«, erwidert er schwach.
»Natürlich ist es wahr«, blafft ihn Ma an und streicht mir zärtlich durch das Haar. »Denken wir doch bloß einmal an seine Einschulung. Weißt du noch, Tobi? Du hast dir so ein Automatikauto gewünscht, das man mit einer Fernbedienung steuern kann.«
»Ja.« Ich nicke. »Das war so cool, ich wollte unbedingt so ein Ding. Stattdessen hast du mir einen Kugelschreiber gekauft.« Ich schüttle enttäuscht den Kopf.
»Das war nicht einfach nur ein Kugelschreiber «, verteidigt sich Pa zitternd. »Es war ein wirklich teurer Füller mit Goldverzierung…«
»Pah, was soll denn ein siebenjähriger Junge mit einem goldenen Füller?«, fragt Ma spöttisch.
»Dir ist einfach nichts eingefallen, was du mir schenken konntest, und du hattest keine Lust, dich intensiver mit mir zu beschäftigen…«, schreie ich und Tränen rinnen mir über die Wangen.
»Du kapierst es nicht«, brüllt Pa zurück. »Du kapierst es genauso wenig wie deine Mutter. Ich wusste, dass du dir ein beschissenes Spielzeugauto wünschst, aber –«
»Warum hast du es mir dann nicht gekauft?«, schreie ich. »Wieso war es dir egal?«
»Es war mir nicht egal! Es war mir zu wenig !« Heftig atmend starrt er mich an. »Ich wollte dir ein Geschenk machen, das du für den Rest deines Lebens behalten würdest. Ich wollte dir etwas geben, das eine Bedeutung hat. Ich wollte, dass du mit diesem Füller deine ersten Worte schreibst, dass dieser Füller dich durch dein Leben begleitet. Dass du mit ihm deinen Arbeitsvertrag, den Mietvertrag für die erste Wohnung, deine Heiratsurkunde unterschreibst… Ich wollte, dass du ihn irgendwann deinen Enkelkindern zeigst und sagst: Den Füller habe ich zur Einschulung von meinem Vater bekommen, er hat mich durch mein gesamtes Leben begleitet! Ich dachte einfach, es wäre eine schöne Geste… Ein Geschenk, das dich immer irgendwie an mich erinnert… Ein Geschenk, das ein Vater seinem Sohn machen könnte… Aber scheinbar habe ich da falsch gedacht…«
Er zittert immer noch. Langsam dreht er sich um und geht zur Ladentür.
»Ich hätte dir das beschissene Auto kaufen sollen, das wäre einfacher gewesen… Tut mir Leid, dass ich es perfekt machen wollte…« Er öffnet die Tür und tritt nach draußen, in den kalten Novembernachmittag.
»Ach, und wenn ein Kinderbild die Welt wieder in Ordnung bringen kann: Ich habe seit fünfzehn Jahren eine Zeichnung von dir auf meinem Schreibtisch stehen. Fühlst du dich jetzt emotional mit mir verbunden ?«
Er geht.
Ma und ich stehen schweigend nebeneinander und starren die geschlossene Tür an.
»Ich habe den Füller mit Hansi Tratmann gegen ein Auto mit Fernsteuerung getauscht. Nach einer Woche fiel es die Treppe runter und war kaputt«, flüstere ich.
Dann fange ich an zu weinen.
50. Kapitel
Gewissensfragen
Die kleinen Äuglein erinnern an schwarze, runde Stecknadelköpfchen. Sie glänzen pechschwarz. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Egal, was ich mache, egal, wohin ich mich bewege, die harten Äuglein folgen mir. Sie machen mich irre nervös.
Hastig stehe ich auf und fange an, in der Küche auf und ab zu gehen.
Mein schlechtes Gewissen ist schrecklich überfordert, weil es keine Ahnung hat, wo es anfangen soll. Ich bin völlig durcheinander. Es kommt mir so vor, als hätte jemand meine Welt genommen und wie einen großen Eimer einfach so umgekippt. Alles ist rausgefallen. Mein
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