Chaosprinz Band 2
immer zur Stelle zu sein, wenn Kim und ich uns irgendwie näherkommen?«
»Ich brauche kein Nachtsichtgerät, ich verlasse mich einfach auf meine Intuition«, meint Marc lässig und geht auf den Laden zu.
»Was machst du eigentlich hier?« Mit großen Schritten beeile ich mich, ihn einzuholen. »Musst du denn nicht in der Praxis sein?«
»Wir hatten doch am Wochenende Notdienst. Ich habe am Samstag beinahe dreizehn Stunden am Stück gearbeitet und dafür diesen Nachmittag frei.« Er wirft einen kritischen Blick in das Schaufenster der Buchhandlung und öffnet dann die Ladentür.
Wie immer werden wir von dem freundlichen, kleinen Glöckchen begrüßt. Im Inneren des Ladens herrscht die übliche, chaotische Ordnung. Auf Tischen und Regalen stapeln sich Taschenbücher und Hardcover, Kurzgeschichtenbände und Novellen liegen neben tausendseitigen Wälzern, Klassiker unter Bestsellern und Sachbücher gegenüber von Romanen.
Ich lächle zufrieden und werfe meine Tasche achtlos hinter den Verkaufstresen, während sich Marc suchend umschaut.
»Paps?«, ruft er fragend in den Raum hinein. »Wo bist du?«
»Hier«, erklingt Ludwigs Stimme hinter einem hohen Bücherregal. »Bei Gesundheit und Wellness .«
Marc und ich folgen den Geräuschen, die aus einer der hintersten Ecken des Ladens kommen.
»Marc, wie schön, dich zu sehen. Hallo, Tobi, na, hast du deine Mittagspause genossen?« Ludwig steht auf der alten Holzleiter und lächelt freundlich zu uns herab.
»Davon können wir ausgehen«, meint Marc leise und wirft mir einen kurzen Blick zu. Ludwig rückt sich die große Brille auf der Nase zurecht und steigt dann langsam von seiner klapprigen Leiter.
»Lass den Jungen doch mal, Marc«, meint er tadelnd zu seinem Sohn und gibt ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange. Auch ich werde zur Begrüßung in den Arm genommen. »Schön, dass du etwas Zeit für deinen alten Vater hast.« Ludwig strahlt.
»Hm, ja, ich habe mir den Nachmittag frei genommen. In der Praxis war sowieso nicht allzu viel los, nur ein paar kranke Wellensittiche und eine Dogge mit gebrochenem Bein«, erklärt Marc locker und mustert seinen Vater aufmerksam. »Paps, trägst du deinen Pullover falsch herum?«
Ludwig macht große Augen, schaut etwas verwirrt an sich herab und lacht dann überrascht auf. »Himmel, ja. Gott, wie peinlich, du hast recht.« Er zupft mit roten Wangen an dem kastanienbraunen, selbst gestrickten Pullover herum.
Marc verdreht seufzend die Augen. »Wo hast du nur immer deinen Kopf?«
»Hm, ich war heute Morgen etwas in Eile. Es kam eine große Lieferung rein und ich war etwas spät dran…« Er lächelt Marc entschuldigend an.
»Zieh dich um, Tobi und ich bleiben solang im Laden.« Mit sanfter Gewalt schiebt Marc seinen Vater den schmalen Gang zwischen zwei hohen Bücherregalen entlang in Richtung des Lagers.
»Na gut, ich beeile mich, bin gleich wieder da.« Mit diesen Worten verschwindet Ludwig und Marc und ich bleiben allein zurück.
»Er ist unmöglich«, seufzt Marc und schüttelt den Kopf.
»Ich finde ihn wunderbar. Er hat einen einmaligen Charme.« Mit einem pinken Staubwedel bewaffnet mache ich mich an die Arbeit und befreie die auf einem dunkelbraunen Eichentisch ausgestellten Bücher von Schmutz und Staub.
»Ich habe nie behauptet, dass er nicht wunderbar ist. Nur würdest du die Sache wohl auch etwas anders sehen, wenn es dein Vater wäre, der vor lauter träumerischer Verpeiltheit keine Rechnung pünktlich zahlt und ständig seine Termine vergisst. Das hat dann nichts mehr mit Charme zu tun.« Marc sortiert und ordnet die Stapel, die an der Kasse ausliegen; dabei sieht er mich ernst an.
»Ja, wahrscheinlich hast du recht«, gebe ich leise zu. »Aber wer könnte ihm denn schon lange böse sein, bei seinem großen Herzen…«
»Eine Bank oder eine Versicherung interessiert es nicht, ob du ein großes Herz hast, Tobi«, meint Marc sehr bitter.
Ich gehe nicht darauf ein. »Na, aber wenigstens kannst du bei deinem Vater von einem großen Herzen sprechen. Mein Vater benutzt seinen Charme lediglich dazu, Frauen flachzulegen.« Ich lasse den Staubwedel etwas unsanft über den Tisch gleiten, sodass gleich zwei Bücher zur Seite kippen und ich sie wieder aufstellen muss.
»Ach, ich dachte die Affäre mit dieser Lehrerin wäre beendet?« Marc sieht mich interessiert an.
»Ja, das habe ich auch gedacht, aber scheinbar steht mein Vater nicht so auf Versprechen, nicht mal auf die, die er vor einem Altar gegeben
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