Chaosprinz Band 2
breite Shirt, das vom vielen Waschen schon ganz ausgeblichen ist. Es riecht nicht mehr nach Alex, es riecht jetzt nach Weißer Riese, extra stark. Schade.
»Wie spät ist es?«, fragt mich Pa müde.
Ich schaue auf die Uhr. »Halb zwölf.«
»Scheiße, in zwei Stunden stehen die Zwillinge vor der Tür, dann muss alles tipptopp sein.« Missmutig erhebt er sich. Sein Blick wandert durch den Raum, bleibt an den nicht ausgeräumten Kisten, dem halbaufgebauten Ikea -Regal und dem Müllberg in der Küche hängen. Leicht überfordert kratzt er sich am Kopf. »Das schaffen wir nie!«
»Quatsch!« Schwarzseherei lasse ich nicht gelten. »Du gehst runter zu Fatma und besorgst ein paar Süßigkeiten, frisches Obst und ein bisschen was fürs Frühstück morgen und ich räume hier inzwischen auf.«
Fatma ist Mutter von vier Kindern, Hausfrau und Gattin von Metin, dem Besitzer des kleinen Gemischtwarenladens zwei Häuser weiter. Sie hilft häufig im Laden aus und kennt Pa und mich schon sehr gut. Wir stürmen ja auch mindestens dreimal am Tag durch ihre Ladentür, weil wir wieder irgendetwas vergessen haben. Das Leben ohne Klopapier ist nicht sehr angenehm, Dosen ohne Dosenöffner können frustrierend sein und ein Zimmer ohne Glühbirnen ist eine finstere Angelegenheit.
Fatma freut sich immer, wenn sie uns sieht.
»Ihr braucht keine Topf«, hat sie beim letzen Mal gelacht und Pa das vierteilige Kochset aus der Hand genommen. »Ihr braucht Mama – ihr braucht Frau!« Wahrscheinlich hat sie selbst überhaupt nicht gewusst, wie recht sie damit hat.
Wir haben geschwiegen und die Töpfe gekauft. Frauen und Mamas gibt's ja leider nicht im Sonderangebot. Auch nicht bei Fatma.
Pa stimmt meinem Vorschlag zu und macht sich auf den Weg nach unten in den kleinen Laden. Als er gegangen ist, räume ich die frisch gewaschenen Sachen in meinen Kleiderschrank.
Ich weiß, dass Pa wegen des Besuchs der Zwillinge sehr nervös ist. Er hat gestern Abend mit Bettina telefoniert. Ein kurzes, kühles Gespräch. Ich habe ihm gegenüber am Esstisch gesessen und meinen Hintern darauf verwettet, dass auch Bettina nicht allein gewesen ist. Bestimmt haben Alex und Ma neben ihr gehockt und auf jedes einzelne Wort geachtet.
Pa hat gefragt, ob die Zwillinge das Wochenende bei ihm verbringen dürften, und Bettina hatte überraschenderweise nichts gegen diese Bitte einzuwenden. Wer weiß, vielleicht hat sie ja aus ihrer letzten Trennung gelernt und will Emma und Timmy das Drama ersparen, mit dem sich Alex und Maria vor kurzem herumschlagen mussten.
Ich muss gestehen, auch ich bin ein bisschen unruhig, wenn ich an den Besuch der Kinder denke. Es wird nicht leicht werden. Ich weiß nicht, wie Timmy und Emma mit der neuen Situation zurechtkommen.
Diese Frage hat Pa die gesamte Nacht lang wach gehalten. Er hat Angst. Angst davor, dass die Kleinen ihn ablehnen, Angst davor, dass sie sich bei ihm nicht wohlfühlen. Es würde ihm das Herz brechen, wenn die Zwillinge mitten in der Nacht vor Sehnsucht nach ihrer Mutter zu weinen anfangen würden.
Darum ist es ihm auch gar nicht recht, dass ich heute Abend nicht zu Hause sein werde. Tom hat ja schon vor einer Weile zu einer seiner berühmt-berüchtigten Hauspartys geladen. Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, mit meinen ungeliebten Klassenkameraden in einem stickigen Kellerraum eingesperrt zu sein, doch Elena, Martin und Lena gehen hin und haben mich überredet, mitzukommen. Luca wird mit seiner Band auftreten und Lena ist schon drei Tage im Voraus total aus dem Häuschen gewesen.
»Ich schlafe mit einem Rockstar!«, hat sie am Donnerstag die gesamte Mittagspause über gesungen. Ich wollte ihre Seifenblase nicht platzen lassen und habe sie träumen lassen.
Lena wird also heute Abend ganz vorne, am Rand der provisorischen, etwa zwanzig Zentimeter hohen Bühne stehen, sich die volle Dröhnung der viel zu laut eingestellten Boxen ins Gesicht donnern lassen und wie ein Groupie an den Lippen ihres Rockstars hängen, während er mit seinen Kumpels über die kleine, enge Bühne hüpft und dabei ständig Acht geben muss, nicht doch noch herunterzufallen.
Auch Elena und Martin freuen sich schon sehr auf die Party. Elena, weil sie endlich wieder ein bisschen Zeit mit Martin verbringen kann, und Martin, weil es ganz sicher wieder diese leckeren Schokoladenmuffins geben wird, die die Haushälterin der Krauses jedes Mal backt.
Ja, meine Freunde haben heute Abend große Ziele. Richtig große. Hm, kann ich von mir leider
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