Chaosprinz Band 2
nicht sagen. Im Gegenteil. Ich weiß gar nicht, warum ich dort überhaupt hingehen werde.
Mein Freund besteht auf Abstand und ignoriert mich. Das bedeutet, wir werden den gesamten Abend über nicht ein einziges Wort miteinander sprechen, und während er mit lässig kühler Miene in einer Ecke herumsteht und sich von dem niederen Fußvolk anhimmeln lässt, werfe ich ihm sehnsuchtsvolle Blicke zu, leide wie ein Hund und komme mir unheimlich dumm vor. Pa hat recht, ich sollte zu Hause bleiben.
Seufzend beziehe ich mein Bett neu. Die Zwillinge schlafen heute Nacht in meinem Zimmer. Dort haben sie mehr Ruhe und werden nicht durch meine Rückkehr gestört. Ich übernachte auf der Ledercouch im Wohnzimmer.
In Gedanken versunken betrachte ich den Raum, den ich seit einer knappen Woche als mein quadratisches, kleines Reich bezeichnen darf. Er wirkt eng und sehr vollgestellt. Der Kleiderschrank nimmt den Großteil der einen Wand ein. Ihm gegenüber steht Noresund mit dem Kopfende unter dem einzigen Fenster im Zimmer. Und neben der Tür, an der vierten Wand des Raumes, hängt Freddie über dem Fernseher. Das war's schon. Es gibt nicht einmal Platz für einen Schreibtisch.
Neben zahlreichen Fotos, auf denen Ma und ich gemeinsam mit Oma, Tina, Mario und dem Rest unserer Hamburger Sippschaft zu sehen sind, hängen nun auch etwas neuere Aufnahmen. Sie zeigen Bettina und Pa im Zoo, die Zwillinge als Indianer verkleidet unter dem Kirschbaum sitzend, Maria und Bettina beim Einkaufen vor Gucci auf der Maximiliansstraße und Lena, Martin, Elena und mich auf der Couch in Martins Zimmer. Das Foto haben wir an einem unserer zahlreichen DVD-Abenden aufgenommen. Per Selbstauslöser.
Meine Lieblingsbilder sind ein Foto von Marc, Manu und mir in Ludwigs Laden und das Bild, das Timmy bei unserem Besuch im Zoo gemacht hat: Alex und ich, im Gespräch vertieft auf einer Parkbank.
Seufzend lasse ich mich mit dem Bauch voran auf Noresund fallen. Ich betrachte das Foto von Alex und mir. Lieben ist schon eine komische Sache… Es klingelt an der Tür. Hat Pa seinen Schlüssel vergessen? Hastig rapple ich mich auf und eile hinaus in den Flur.
»Hallöchen, mein Krümelchen!« Ma strahlt mich an.
»Was machst du denn hier?«, frage ich verblüfft und starre sie aus großen Augen an. Sie trägt eine selbst gestrickte Pudelmütze auf dem Kopf, bei der weder Strickmuster noch die Farbwahl der Wolle zueinander passen. Doch Ma stört sich nicht an solchen Dingen. Ihre Nase ist von der Kälte ein bisschen gerötet und sie sieht wunderschön jung und mädchenhaft aus.
»Guck nicht so, Engelchen«, tadelt sie mich lächelnd. »Lass mich rein, ich schleppe mich hier zu Tode.« Jetzt erst bemerke ich die Kisten und Schachteln, die sie im Arm hält.
Ich mache schnell einen Schritt nach hinten, um sie einzulassen.
»Küche?«, fragt sie.
»Zweite Tür links«, antworte ich.
Sie geht voran, ich folge ihr.
»Mann, da draußen ist es wirklich arschkalt«, bibbert Ma und stellt die Kisten in der Küche auf die Arbeitsfläche ab. »Der Winter kommt.«
Ich nicke, ohne ihr richtig zuzuhören. »Ma, was machst du hier?« Um diese Frage kommen wir nicht herum.
»Ich liebe den Winter… Weihnachten… Glühwein und selbstgebackene Plätzchen…« Sie fängt an, ihre Kisten auszupacken. Neben einigen Brettspielen, Kinderfilmen und ein paar flauschigen Stofftieren kommt eine große Tupperdose zum Vorschein, in der sich anscheinend ein frischer Kuchen befindet. Sie drückt mir ein Einmachglas mit Erdbeermarmelade in die Hand.
»… Gospelmusik und Schneemänner, Bratäpfel und Schlittschuhlaufen…«
Ich betrachte den kleinen, weißen Erste-Hilfe-Koffer, den Ma aus ihrem Karton holt.
»Willst du hier einziehen?«
»… und überall diese schönen, romantischen Weihnachtsmärkte, auf denen man selbst gegossene Kerzen und Holz… Was? Nein, ich ziehe hier nicht ein. So weit kommt es noch.« Sie hält in ihrer Bewegung inne, sieht mich an und lacht. »Ich bringe nur ein paar Sachen für Emma und Timmy.«
»Emma und Timmy werden also hier einziehen?«, frage ich spöttisch.
»Blödsinn, aber wenn sie die Nacht hier verbringen sollen, dann müssen eben einige Vorbereitungen getroffen werden.«
»Vorbereitungen?«
»Nahrung, Spielzeug, Brandsalben…«
Ich schnaube und verschränke die Arme vor der Brust. »Richtig. Wir hätten den Kindern ja auch die Tageszeitung von gestern zum Essen gegeben und vor dem Schlafengehen hätten wir ihnen aus den Romanen von
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