Chaosprinz Band 2
doch er weicht mir flink aus.
Eine Viertelstunde später bin ich fertig geduscht und Marc ist fertig mit den Nerven. Die Flecken sind immer noch da.
»Sieh dir das an«, kreischt er hysterisch und hebt das Hemd in die Höhe. Ich schaue unter nassen Haarsträhnen hervor und nicke ernst. Anstatt den Schmutz heraus zu waschen, hat er ihn nur noch mehr verteilt.
»Ich sehe es, hast du toll gemacht.« Mein Kreislauf fährt mit mir Achterbahn. Wir sitzen ganz vorne, im ersten Wagen und jedes Mal, wenn die Bahn in die nächste Kurve rast, ruft mein Kreislauf: Arme in die Luft, dann macht's noch mehr Spaß.
Ich finde es aber gar nicht lustig. Taumelnd versuche ich, mich abzutrocknen und den pochenden Schmerz hinter meiner Stirn zu ignorieren. Marc reicht mir eilig einen frischen Pullover, Unterwäsche und eine neue Jogginghose.
»Danke«, sage ich. »Wenn du willst, dann kannst du dir was von mir überziehen.« Ich deute auf sein schmutziges Hemd.
»Du bist viel zu klein, da passt mir nichts«, meint Marc überheblich und fängt an, mir die Haare trocken zu rubbeln. Er reißt mir fast die Kopfhaut runter.
»War ja nur ein Angebot«, murmle ich und jaule kurz auf, als er sich eine Bürste schnappt und mir grob das Haar kämmt.
»Denkst du, Joachim würde mir etwas leihen?«, fragt er unsicher.
»Klar, ihr seid doch schon fast verlobt – oder zumindest schwer verliebt.«
Marc zieht mich an den Haaren.
»Aua!«, schreie ich.
»Ups«, meint er scheinheilig. Frisch geduscht, mit neuen, sauberen Klamotten am Körper und angenehm riechenden Haaren auf dem Kopf, fühle ich mich schon fast wieder wie ein Mensch. Ein Mensch, der zwar immer noch Schmerzen hat, wenn er spricht, schluckt oder atmet, und der ständig nach Taschentüchern kräht, weil ihm Rotz aus der Nase läuft, aber immerhin ein Mensch. Ich betrachte mein blasses Gesicht im Spiegel.
»Wie sehe ich aus?«, will ich wissen und betaste vorsichtig die rote Nase.
»Wie immer«, meint Marc und sieht mich überhaupt nicht an. »Einfach umwerfend.«
Er bringt gerade seine Frisur in Ordnung und zupft penibel jede einzelne Haarsträhne in Position. Langsam entwickeln wir uns zu überdrehten Teeniemädels vor dem ersten Date mit dem heißen Traumboy. Es fehlen nur noch die hysterischen Kicheranfälle und das gegenseitige Fußnägellackieren.
»Könntest du mir jetzt bitte ein Hemd von deinem Vater geben?«
Schwankend stolpere ich in Pas Schlafgemach. Sein Bett besteht momentan aus einer schlichten Matratze, die auf dem blanken Fußboden liegt. Der Kleiderschrank ist schmal und war wohl mal weiß. Doch diese Zeiten müssen lange her sein, denn nun hat er sich widerlich gelb verfärbt und riecht nach Mottenkugeln.
»Dein Vater mag's bescheiden?« Marc schaut sich etwas überrascht um.
»Zwangsläufig«, antworte ich und gehe auf den hässlichen Schrank zu. »Wir hoffen ja immer noch auf einen raschen Umzug – oder besser gesagt: Rückzug.«
Ich betrachte Pas Hemden. Er hat sie alle auf Bügel gehängt und nach Farben geordnet. »Wie hätte es der Herr denn gerne?«, frage ich und drehe mich zu Marc um. »Grau, weiß oder schwarz? Seide oder Baumwolle? Sportlich oder elegant?«
»Mir egal«, meint Marc. »Gib mir ein schwarzes. Eng geschnitten. Kein verstärkter Kragen. Nein, nicht das, nimm das daneben.«
So viel zum Thema: Es ist mir egal!
Marc zieht sich um. Ich betrachte Pas Bett. Neben der Matratze, auf dem Boden stehen sein Funkwecker, eine Wasserflasche und ein großer Bilderrahmen. Ich gehe in die Knie, um das Foto besser erkennen zu können.
Es ist relativ neu. Bettina, Maria, die Zwillinge, Alex und ich im Zoo. Pa fehlt. Er hat das Bild gemacht. Es ist ein schönes Foto. Wir lachen alle, sehen ziemlich glücklich aus. Wie eine richtige Familie.
» Tobi – Kindersachen «, sagt Marc plötzlich.
»Was?« Verwirrt drehe ich mich zu ihm um.
»Das steht da.« Marc deutet auf eine große Box, die am Boden des Schranks steht. Sie sieht alt und ziemlich instabil aus. Halb wird sie von einer ausgebleichten Jeans verdeckt. Der Schriftzug ist jedoch noch gut zu lesen. Groß und breit zieht er sich über die gesamte Oberseite der Kiste. Und dort steht tatsächlich mit einem dicken Filzstift geschrieben: Tobi – Kindersachen .
»Sind da peinliche Babybilder von dir drin?«, fragt Marc. »Klein-Tobi nackig auf dem Bärenfell?«
Ich starre die Kiste an und zucke mit den Schultern.
»Keine Ahnung«, nuschle ich. Ich würde es gerne rausfinden, doch leider
Weitere Kostenlose Bücher