Chaosprinz Band 2
Beisammensein. Und so musste ich ohne Antworten ins Bett gehen.
Ich schlief sehr unruhig in dieser Nacht. Zum ersten Mal in all den Monaten denke ich über Alex' Vater nach. Ich sollte mich schämen. Ich meine, Maria und Alex sind ja nicht wie zwei kleine Regentropfen vom Himmel gefallen und es war auch ganz sicher nicht der Klapperstorch, der irgendwann aufgetaucht ist und Bettina zwei schreiende Bündel vor das Fenster gelegt hat. Natürlich muss es da einen Mann gegeben haben. Einen Mann namens Markus Wesser.
Ich habe diesen Namen vorher noch nie gehört. Er wurde nicht ein einziges Mal erwähnt. Weder Bettina oder Alex noch Maria haben jemals über ihn gesprochen. Es war, als würde es ihn nicht geben, als hätte er nie existiert. Ich habe auch nicht nachgefragt. In den letzten Monaten bin ich so sehr mit meinem eigenen Vater beschäftigt gewesen, dass mir andere vollkommen egal gewesen sind.
Es gibt keine Bilder von ihm, kein Lebenszeichen. Alex bezeichnet Pa als seinen Dad und Pa nennt Alex seinen Sohn. Ihr gutes Verhältnis ist mir schon des Öfteren aufgefallen und ich muss gestehen, ich bin ein bisschen neidisch. Alex ist der Sohn, den Pa sich wünscht, und er schafft es immer, Pas Ansprüchen gerecht zu werden. In dieser Beziehung spielt ein zweiter Vater keine Rolle. Oder zumindest keine offensichtliche.
Was ist wohl passiert? Markus ist nicht tot, er ist quietschfidel und lebt in München, aber aus irgendeinem Grund scheint er in Bettinas, Alex' und Marias Welt nicht mehr zu existieren. Warum? Haben Bettina und Markus sich im Streit getrennt? Ist Markus abgehauen und hat den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen? Und wann ist das Ganze passiert?
Pa und Bettina sind seit sieben Jahren verheiratet. So viel ich weiß, haben sie sich knapp zwei Jahre vor der Hochzeit kennengelernt. Da war Alex neun und Maria sieben Jahre alt. Ich muss zugeben, ich bin neugierig und möchte unbedingt wissen, was damals passiert ist, aber ich habe auch Angst.
Seufzend schlendere ich die Straße entlang. Ich weiß sowieso nicht, warum ich hier bin. Die Gedanken und Spekulationen haben sich einfach nicht aus meinem Kopf verbannen lassen und so bin ich nach dem Sportunterricht nicht gemeinsam mit Alex nach Hause gefahren, sondern mit Hilfe einer kleinen Ausrede hierhergekommen. Keine Ahnung, was ich mir davon versprochen habe. Ich glaube, ich wollte ihn einfach sehen. Markus Wesser. Alex' Vater. Hm…
Markus kniet immer noch auf dem Boden und kramt in einer Werkzeugkiste. Er holt einen Hammer und eine kleine Schachtel mit Nägeln hervor. Zumindest denke ich, dass es sich um Nägel handelt. Von dieser Entfernung aus kann ich es nicht ganz genau sagen. Mit dem Arm reibt er sich über die Stirn, wischt sich den Schweiß ab.
Er sieht gut aus. Er ist sehr attraktiv. Genau wie Alex. Das war's dann aber auch schon fast mit den Gemeinsamkeiten. Die blonden Haare und die grauen Augen hat Alex, genauso wie Maria, von Bettina. Nur die Körpergröße, die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die schlanke Gestalt verbinden Vater und Sohn. Und die tiefe Stimme. Ich habe doch sofort das Gefühl gehabt, dass mich Markus' Lachen an jemanden erinnert. Nun weiß ich auch, an wen.
Etwas planlos gehe ich die Straße entlang. Den Blick kann ich kaum von dem hellen Fenster nehmen. Wie eine Motte zum Licht zieht es mich zu diesem Ort. Ich stehe an einem Fußgängerüberweg. Die Ampel zeigt rot. Ich warte. Die Autos zischen vorbei, dann müssen die ersten abbremsen.
Grün. Mit hängendem Kopf überquere ich die Straße, schlendere langsam den Bürgersteig entlang und bleibe schließlich seufzend stehen. Die Galerie. Vorsichtig wage ich mich näher heran, riskiere einen Blick durch die Scheibe.
Markus hat mir den Rücken zugewandt. Er kniet immer noch auf dem Boden und befestigt die Leisten an der Wand. Umdrehen und gehen… Zwei Schritte, drei Schritte, vier Schritte… fünf Schritte und meine Hand liegt auf der Türklinke. Ich betrete die leere Galerie. Das Erste, was mir auffällt, ist die Stille.
Markus' Hammer liegt auf dem Boden neben ihm. Er beugt sich über die kleine Schachtel und sucht scheinbar nach passenden Nägeln. Der kurze Schwall des Straßenlärms, den ich mit hereingebracht habe, lässt ihn zusammenzucken. Er dreht sich um.
Seine Miene verändert sich… Er erkennt mich. Wir sehen uns an. Schweigend. Unsicher. Nervös. Ich bereue es, hier zu sein.
Er lässt die Nägel wieder in die Schachtel fallen und steht sehr
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