Charlie Chan macht weiter
distanzierte, intellektuelle Typ. Und da ist Tait, ein kultivierter Mann mit brillanten Fähigkeiten, der sein Leben damit verbracht hat, Verbrecher zu verteidigen. Und wir haben Vivian, Ross und Benbow – alles Männer mit untadeligem Ruf in ihrer eigenen kleinen Welt. Aber wir dürfen auch Fenwick nicht vergessen, der in einer höchst exklusiven Gesellschaft eine hohe Position einnimmt.«
»Sie interessieren sich für Fenwick?« fragte Charlie.
»Sie nicht?« fragte Duff rasch zurück.
»Konnte nicht umhin, zu bemerken, daß er über allem wie dumpf brütender Falke schwebt«, erwiderte Chan.
»Er verläßt Gruppe in Nizza, doch taucht in San Remo wieder auf. Und im ›Taj Mahal‹ in Bombay erneut.« Duff setzte sich gerade hin. Die beiläufige Art, mit der Charlie diese Namen herunterratterte, verriet letztlich, daß ihn die Angelegenheit doch mehr interessierte, als sein schläfriger Blick ahnen ließ. Wieder einmal hatte er den Polizeibeamten aus Honolulu falsch eingeschätzt, dachte Duff; und wie schon häufig vor einigen Jahren in San Francisco, mußte er rasch seine Meinung revidieren.
»Aber was ist mit Yokohama?« fragte er. »Und was mit dem Juwelierladen in Kalkutta? An keinem dieser Orte wurde Fenwick gesehen?«
»Sind Sie dessen sicher?«
»Im Augenblick noch nicht. Ich muß noch mehr Erkundigungen dazu einholen, besonders wenn Sie eine Vorliebe für diesen Mann haben, Charlie.«
Chan grinste. »Das habe ich nicht gesagt. Vielleicht hat nur sein Name meine Aufmerksamkeit erregt. Nein – habe keine Vorlieben – außer für Schokoladeneis. Erdreiste mich, zu behaupten, es ist letzter Gang dieses unwürdigen Lunches.«
»Ein prima Lunch«, versicherte ihm Duff.
Charlie führte seinen englischen Freund zurück zum Polizeirevier und stellte ihn stolz allen vor – auch seinem Chef, der offensichtlich beeindruckt war, und selbst Kashimo, der keinerlei Gefühlsregung zeigte.
»Kashimo möchte gern großer Detektiv wie Sie werden«, erklärte Chan Duff. »Bisher war Glück ihm nicht hold. Erst heute morgen hat er sich als so nützlich erwiesen wie ein Spiegel einem Blinden. Aber«
- er klopfte dem Japaner auf eine Schulter – »er hat Ausdauer.« Später am Nachmittag holte Charlie mit sichtlichem Stolz einen glänzenden, neuen, kleinen Wagen heraus und zeigte Duff damit Honolulu und seine Umgebung. Der Engländer bemühte sich galant, einen bewundernden Ausdruck zur Schau zu tragen und sich als perfekter Gast zu geben, aber innerlich war er nervös; und dieser Zustand änderte sich nicht bis hin zum Dinner im »Royal Hawaiian«, bei dem Chan darauf bestanden hatte, erneut die Gastgeberrolle zu spielen. Sehnsüchtig erwartete Duff den nächsten Tag.
Am nächsten Morgen stand er mit Charlie um zehn Uhr am Pier und beobachtete, wie die »President Arthur« einlief. Eine Weile hatte er vorgehabt, sich im Hintergrund zu halten, solange das Schiff im Hafen lag, doch dann sagte er sich, daß damit nichts gewonnen sei. Statt dessen hatte er darauf bestanden, daß Charlie mitkam und die Lofton-Gruppe kennenlernte. Vielleicht hatte der Chinese eine plötzliche Inspiration? Sein Vertrauen in seinen Kollegen war größer denn je. Der große Überseedampfer ging vor Anker, und der Landungssteg wurde heruntergelassen. Einen Moment lang herrschte Durcheinander an Deck, dann begann die bunt-gesprenkelte Menge langsam das Schiff zu verlassen. Duff beobachtete sie aufgeregt, während Charlie an seiner Seite aussah wie jemand, der einer Geschichte zum x-tenmal lauschte.
Endlich tauchte unter dem Völkergemisch auch Lofton auf, mit einem Tropenhelm auf dem Kopf. Ihm auf dem Fuße folgten die zwölf Mitglieder seiner Reisegruppe. Darunter mußte auch der Mann sein, den Duff suchte, der Mann, der Welby erschossen hatte. Wut flammte plötzlich in des Inspectors Herzen auf.
Mit ausgestreckter Hand ging er auf Dr. Lofton zu, kaum daß dieser die Pier betreten hatte. Lofton blickte ihn an, und es war nicht gerade Willkommensfreude, die sich in seinem Gesicht spiegelte, eher schon Ärger, fast Abneigung.
Chan beobachtete ihn scharf. Haßte es Lofton nur, an gewisse Ereignisse erinnert zu werden, die jetzt weit zurücklagen?
»Ah – Doktor!« rief Duff aus. »So treffen wir uns wieder.«
»Inspector Duff«, entgegnete Lofton und lächelte matt.
Duff war unterdessen schon damit beschäftigt, den Benbows, den Minchins, Mrs. Spicer und Vivian, Kennaway, Ross und all den anderen die Hände zu schütteln – als
Weitere Kostenlose Bücher