Charlie Chan macht weiter
sobald ich mich in Pasadena ordentlich ausgeruht habe. Ich bin nämlich noch nie in Südamerika gewesen. Ich begreife gar nicht, wie ich es so übersehen konnte.«
»Ich habe eine Einladung für Sie zwei«, verkündete Duff. »Dieser Chinese, den Sie heute morgen am Hafen kennenlernten, hat mich heute abend zum Dinner in seinem Haus eingeladen und mir aufgetragen, Sie mitzubringen. Beide. Es klingt mir recht interessant.«
Sie sagten zu, mitzukommen, und um sechs Uhr dreißig wartete Duff in der Lobby auf sie. In der kühlen Abendluft fuhren sie zum Punchbowl Hill hinauf. Die Berge vor ihnen waren in schwarze Wolken eingehüllt, während die Stadt hinter ihnen im Schein der untergehenden Sonne gelb und rosa leuchtete.
Charlie erwartete sie auf seiner Veranda. Er hatte seine besten amerikanischen Sachen angezogen, und sein breites Gesicht strahlte vor Freude.
»Was für ein Augenblick in der Geschichte der Familie!« rief er aus. »Über meine Schwelle schreitet mein alter Freund aus London, was für sich eine Ehre, die kaum zu ertragen ist. Zugabe macht mich in der Tat zu stolzem Mann.«
Mit vielen Worten über sein bescheidenes Haus und seine unwürdige Einrichtung geleitete er sie in den Salon. Das wenig schmeichelhafte Bild von seiner Gastfreundschaft entsprang natürlich nur seiner Vorstellung, was dem Gast an sich gebührte. Der Raum war entzückend. Ein seltener, alter Teppich lag auf dem Boden, von der Decke hingen rote und goldene chinesische Laternen, und an einer Wand hing ein einziges Bild, ein Vogel auf einem Apfelbaum, auf Seide gemalt; auf vielen geschnitzten Teakholztischen standen Swatow-Schüsseln, Porzellankrüge und Zwergpalmen.
Mrs. Chan trug ihr bestes schwarzes Seidenkleid und achtete sehr auf ihr Englisch. Eine Anzahl der älteren Kinder wurde feierlich vorgestellt, und Charlie sprach stolz von seiner ältesten Tochter Rose und wünschte innerlich, sie wäre jetzt hier; sie hätte die Situation blendend gemeistert, während seine sonst so ruhige Frau etwas aus dem Gleichgewicht gebracht worden war.
Schließlich erschien auf der Türschwelle eine betagte Dienerin und sagte etwas mit hoher, schriller Stimme, woraufhin sie alle ins Speisezimmer gingen. Charlie erklärte, es gäbe hawaiisches Essen, nicht chinesisches. Die anfänglich steife Atmosphäre lockerte sich zunehmend, Mrs. Chan wagte schließlich sogar ein Lächeln, und Mrs. Luce plauderte flott und ungezwungen.
»Meine Lieblingsrasse ist die chinesische, Mr. Chan«, teilte die alte Lady ihm mit und behauptete, die Chinesen seinen die Aristokraten des Ostens.
Charlie fühlte sich sehr geschmeichelt, vor allem weil er gewohnt war, daß seine Rasse in den Vereinigten Staaten nicht besonders hoch eingeschätzt wurde und Chinesen in der Literatur und den Tonfilmen sogar die Schurken spielten.
»Sie haben großes Land. Die Nation ist reich, stolz und von sich selbst überzeugt – aber vom Rest der Welt weiß sie – pardon – wenig, und er kümmert sie noch weniger«, sagte Charlie.
Mrs. Luce gab ihm recht und wollte wissen, ob Charlie in letzter Zeit in China gewesen sei. Charlie mußte gestehen, daß er es zum letztenmal mit den funkelnden Augen der Jugend gesehen hatte, als China noch ein friedliches Land gewesen war.
Plötzlich kam draußen ein Sturm auf, und dann prasselte der Regen auf das Dach. Es goß immer noch in Strömen, als sie in den Salon zurückkehrten und Duff auf die Uhr blickte.
»Ich möchte nicht unhöflich sein, Charlie«, erklärte er.
»Dieser Abend wird eine der glücklichsten Erinnerungen in meinem Leben bleiben, aber die ›President Arthur‹ läuft um zehn aus, und es ist schon nach halb neun. Sollte ich nicht lieber ein Taxi rufen und…«
»Kommt nicht in Frage«, protestierte Chan. »Ich besitze vollständig geschlossenes Automobil, in dem vier bequem Platz haben – selbst vier wie ich. Ich kenne Last auf Ihren Schultern und werde Sie sofort den Punchbowl Hill hinunterbefördern.«
Mit vielen Versicherungen, wieviel Freude das Dinner ihnen bereitet hätte, machten sie sich auf den Weg. In wenigen Augenblicken war der neue Wagen den Berg hinunter. Sie hielten kurz am »Young«, um Duffs Gepäck und die beiden kleinen Reisetaschen der Frauen, die sie an Land mitgebracht hatten, abzuholen. Plötzlich faßte sich Duff an den Kopf.
»Du meine Güte, Charlie! Ich habe total meine Notizen in Ihrem Safe im Polizeirevier vergessen.«
»Hatte sie nicht vergessen«, entgegnete Charlie.
»Bringe Sie
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