Charlie Chan macht weiter
konnte; vielleicht hatte er selbst so einen Aufkleber besessen; oder vielleicht war er selbst Maxy Minchin.
Chan verbrachte ein paar Minuten in der Bibliothek, ehe er in seine Kabine zurückkehrte. Dort nahm er sich sofort Duffs Notizen noch einmal vor. Was er las, schien ihm zu gefallen, und er ging vergnügt zu Bett und genoß die Ruhe der Nacht, wie noch nie zuvor an Bord.
Früh am nächsten Morgen begegnete er Maxy Minchin an Deck, der grimmig entschlossen schien, sich Bewegung zu verschaffen. Charlie paßte sich dem Schritt des Gangsters an.
»Hallo, Officer!« begrüßte dieser ihn. »Klasse Morgen nach dem Sturm, wie?«
»Sturm?« echote Charlie.
»Spreche von der flotten, kleinen Party von gestern abend. Die Typen haben Sie doch wohl nicht verdorben, he? Hoffe, Sie haben sich gut amüsiert?«
»Ausgezeichnet«, versicherte der Chinese lächelnd.
»Nun, mir war selbst ein bißchen bange. Wenn man Gastgeber ist, hat man nicht eben viel Spaß an so einem Radau. Dachte schon minutenlang, daß es noch für einen der Kerle mit einem Paar hübscher Armreifen enden würde. Aber trotz allem, was da gesagt wurde, waren Sie wohl von einer Einlochung so weit entfernt, wie ehedem, wie?«
Chan seufzte schwer. »Ich fürchte, ja.«
»Ist wirklich ein verdammtes Rätsel. Ich, zum Beispiel, kapier absolut nicht, warum irgend jemand diesem netten, alten Gentleman das Licht hat ausblasen müssen. Tait hat da was von sich gegeben, was mich auf den Gedanken gebracht hat, daß es vielleicht ein Irrtum war – vielleicht wurde Drake nur umgebracht, weil man ihn für jemand anderen gehalten hatte. So was kommt ja vor. Ich erinnere mich, daß in Chicago… Nun, ich wollte nur sagen, daß wir gestern abend noch ganz schön was erlebt haben in unserer Kabine.«
»Ja? Und was?« erkundigte sich Charlie betont neugierig.
»Wir reichen Millionäre, wir müssen unsere Augen pausenlos offenhalten. Man flüstert sich zu, daß wir in Zaster schwimmen – ja, und dann gute Nacht. Weiß nicht, was aus der guten alten Welt geworden ist. Kein Respekt mehr vorm Eigentum. Ekelhaft! Sadie kommt in ihre Kabine zurück – und was glauben Sie? – da fegt wie ein Wirbelsturm aus Kansas so ein Boy durch unsere Klamotten.«
»Wirklich ein Jammer! Ich hoffe, es wurde nichts Wertvolles gestohlen?«
»Das ist das komischste an der Sache. Da lagen all die Klunker herum, die Sadie sich ergattert hatte. Wertvolles Zeug. Muß es schließlich wissen, denn ich mußte ja aufkommen dafür. Doch dieser Chinese…«
»Ah – eh…« Chan konnte sich gerade noch auf die Zunge beißen.
»Dieser Chinese – ja, dieser Chinese, der hatte nichts weiter als ein Bündel Hotelaufkleber in der Hand.«
»Sie haben Sammlung solcher Aufkleber?«
»Ja. Habe sie mitgenommen aus jedem Hotel, in dem wir gewesen sind. Wollte sie dem kleinen Maxy mitbringen – das ist mein Sohn –, damit er sie sich auf seinen Koffer pappen kann. Er wollte mitkommen, aber ich hab’ ihm gesagt: erst die Ausbildung. Du bleibst hier und lernst erst mal, richtig zu reden, hab’ ich gesagt.
Selbst ein Schmuggler muß sich heutzutage gut ausdrücken können. Schließlich verkehrt er in den besten Kreisen. Nicht, daß ich Maxy da drin haben möchte.
Er… Na ja, wie ich bereits gesagt habe, diesen Chinesen haben nur die Aufkleber interessiert. Doch hat er nur Zeit gehabt, einen davon zu stehlen.«
»Ah – einer fehlt also?«
»Ja. Mein Weib hat’s gleich gemerkt. Der tollste von allen. Ein Hotel in Kalkutta. Er war weg.«
Charlie starrte den Gangster an. Die harmlose Unschuldsmiene erstaunte ihn. In dem dunklen Gesicht spiegelte sich nur die Sorge eines nachsichtigen Vaters.
»Ich spurtete mit einem Satz zum Zahlmeister«, fuhr Mr. Minchin fort, »aber er sagte mir, er hätte den Chinesen durchsucht – er sei sauber gewesen. Glaub’s zwar nicht, aber der kleine Maxy wird nicht wissen, was ihm abgeht – und nur das zählt.«
»Gratuliere Ihnen! Leben hat Philosophen aus Ihnen gemacht, was friedliche Tage verheißt«, sagte Charlie. Am frühen Nachmittag desselben Tages traf Charlie den unangenehmen Captain Keane. Charlie wollte ihn ignorieren, aber der Captain hielt ihn auf.
»Nun?« begann Keane.
»Ja?« entgegnete Chan.
»Das Dinner gestern abend – ein paar ganz schöne Enthüllungen. Was mich anbelangt – für mich ist die Sache ziemlich klar.«
»Sie meinen Mr. Benbow?«
»Benbow – du liebe Güte! Versuchen Sie nicht, mich auf den Arm zu nehmen. Lofton ist mein
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