Charlie + Leo
auch als unbunte Farbe. Wir werden dieses Jahr auch mit Schwarz arbeiten, nämlich mit Zeichenkohle.«
Oh, nein, bitte nicht. Ich hasse es, mit Kohle zu zeichnen. Es sieht zwar ziemlich cool aus, aber das Zeichnen an sich kann ich überhaupt nicht leiden. Das kratzende Geräusch, wenn die Kohle über das Papier fährt, löst bei mir immer unangenehme Schauer am ganzen Körper aus, ungefähr so, als würde jemand mit Kreide über die Tafel quietschen.
»Was mich zu unserer Materialliste bringt«, fährt die Hensel-Tegtmeier fort. »Bitte mitschreiben, ich möchte das nur ein Mal sagen müssen.«
Alle kramen Stifte und Hefte oder Blöcke hervor und machen sich bereit zum Mitschreiben.
»Also, folgende Sachen braucht ihr im Laufe des ersten Halbjahres«, beginnt die Hensel-Tegtmeier. »Einen Zeichenblock, A3. Einen Satz Acrylfarben, bestehend aus den Primärfarben plus Schwarz und Weiß. Ein Lineal, dreißig Zentimeter. Einen Bleistift in Stärke HB. Und wie gesagt, Zeichenkohle. So, das war’s auch schon. Habt ihr das alles?«
Klar. Aber nicht mitgeschrieben. Das habe ich schon zu Hause, dafür muss ich nicht mal einkaufen gehen. Wobei, einen Block und ein paar neue Stifte könnte ich schon gebrauchen. Ich muss nach der Schule sowieso noch in die Stadt, einen neuen Toaster kaufen, da kann ich dann auch gleich beim Zeichenladen vorbeigehen.
»Heute braucht ihr aber noch nichts von alldem«, fährt die Hensel-Tegtmeier fort. »Heute erkläre ich euch erst mal theoretisch, wie man den Fluchtpunkt in einem Bild bestimmt. Das funktioniert folgendermaße n …«
Das muss ich mir nicht wirklich anhören. Das ist ungefähr so, als würde man Joscha Sauer erklären wollen, wie man Lemminge zeichnet. Wenn einer nämlich Lemminge zeichnen kann, dann Joscha Sauer. Wie, ihr kennt »Nicht lustig« nicht? Müsst ihr euch angucken, zum Totlachen!
Der Hensel-Tegtmeier zuzuhören ist allerdings wirklich nicht lustig , darum lasse ich es auch und tue nur so, beobachte dabei aber heimlich Leo.
Was sie wohl gerade denkt? An Antoinette und ihre dummen Sprüche wahrscheinlich. Oder an Hamburg. Oder vielleicht doch an ihren geheimnisvollen Zeichner? Wie sie ihn sich wohl vorstellt? Wahrscheinlich wahnsinnig gut aussehend. Eine Figur wie Batman. Ein Gesicht wie Superman. Stark wie Obelix. Intelligent wie Tim. Cool wie Lucky Luke. Draufgängerisch wie Spirou. Ja, so etwas in der Art stellt sie sich bestimmt vor. Jedenfalls keinen Charlie Brown. Mist. Ich sollte endlich aufhören, über so etwas nachzudenken, das zieht mich nur runter und macht mich noch kleiner und unbedeutender, als ich es sowieso schon bin. Seufz. Na gut. Dann höre ich doch besser der Hensel-Tegtmeier zu. Da fühle ich mich wenigstens ein bisschen überlegen.
Als es eine knappe Stunde später zur Pause gongt, habe ich von ihr nichts, aber auch wirklich gar nichts gehört, was ich nicht bereits wusste. Ob man wohl beantragen kann, vom Kunstunterricht befreit zu werden?
Ich packe meine Sachen zusammen und gehe in die Pause. Was war noch mal Teil zwei des Horrormittwochs? Ach ja, der Bio-Bauer.
Die Bioräume sind im Untergeschoss, also gehe ich die Treppen bis ganz nach unten. Vor Rau m 014 lege ich meine Tasche ab. Leos Tasche liegt auch schon dort, ich erkenne sie sofort, sie ist natürlich schwarz und hat ein paar Buttons auf der Vorderseite. Von Leo selbst aber keine Spur. Wo sie wohl ihre Pausen verbringt? Ich beschließe, es herauszufinden, und gehe hoch ins Erdgeschoss.
Im Aufenthaltsraum ist sie nicht. Draußen vielleicht? Ich schlendere über den kompletten Schulhof, keine Spur von ihr.
Ob sie vielleicht hinter der Turnhalle im Versteck bei den Rauchern abhängt? Raucht sie? Keine Ahnung. Hoffentlich nicht. Ich meine, schließlich hoffe ich ja, dass wir uns irgendwann einmal küssen werden. Ich habe zwar noch nie eine Raucherin geküsst, aber sehr lecker stelle ich mir das nicht unbedingt vor. Hör auf, dir etwas vorzumachen, Charlie Brown. Du wirst sie niemals küssen, Charlie Brown. Ja, leider stimmt das wohl. Und da ich mich sowieso nicht zum Versteck der Raucher traue, weil dort meistens Lazlo und Co. rumhängen, gehe ich langsam zurück in Richtung Schulgebäude.
Am Schulkiosk hole ich mir einen O-Saft und schlendere gemütlich zum Bioraum. Ich bin kurz davor, um die letzte Ecke zu biegen, als ich aufgeregt fiepende Stimmen höre, die mir irgendwie bekannt vorkommen. Ich bremse ab, drücke mich an die Wand und schiebe vorsichtig meinen Kopf ein
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